Das kleine (und weiterhin feine) Lied mit der Luftaufsichtsbaracke kannte ich natürlich schon lange, als ich dessen Texter, Komponisten und Sänger zum ersten Mal auftreten sah: an einem Samstagabend im Januar 1997, bei “Wetten, dass..?”, mit “Lilienthals Traum”. Eigentlich unvorstellbar: Es ist Showtime – und ein schmächtiger, grauhaariger Mann singt live, ohne äussere Showeffekte und in deutscher Sprache ein beinahe achtminütiges, textlastiges, symphonisches Heldenepos über einen Flugpionier aus dem 19. Jahrhundert. Damit, mit dem Lied und dem grossartigen, wie aus der Zeit gefallenen Vortrag, hatte er mich im Sack – ein für allemal: Es sollte der Beginn sein einer bis zum heutigen Tag anhaltenden Freude an den Beobachtungen, dem Sprachvermögen, der Dichtkunst, den Melodien des Liederdrechslers Reinhard Mey.
Sein phänomenales Werk ist eine bunte Mischung von Liedern zu, fast, allem Erdenklichen. Da wechseln sich munter ab: Geschichten und Gedanken über und für seine Kinder (in all deren Lebensphasen); die präzise Darstellung von Figuren, Ereignissen, Entdeckungen in der nahen und fernen Geschichte; philosophische Betrachtungen über Alltägliches, aber auch über das ganz Grosse (oftmals kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-Auch); meist kitschfreie Oden an seine Frau Gemahlin, die Liebe per se, die Musik, seine grosse Sehnsucht (und das spätere Hobby): das Fliegen; mal lockerflockige, mal beissende Gesellschaftskritik; Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend; augenzwinkernde Selbstbetrachtungen; Reflexionen über Vergänglichkeit und Tod; immer wieder sein Berlin – und vieles mehr.
In den über vierzig Jahren seiner Liedermacherei sind noch und nöcher hinreissende Werke in deutscher, französischer, niederländischer Sprache entstanden, die mich begeistern – und ist der Name Mey zu einer festen “Marke” in der Musikbranche geworden: Die Alben, die er weiterhin im Zwei- bis Drei-Jahres-Takt aufnimmt und veröffentlicht (letzteres immer, natürlich, im namensverwandten Monat Mai), verkaufen sich, fast ohne Werbung, hervorragend, die sich daran anschliessenden Tourneen – gut sechzig lange Abende am Stück, an denen er, schmächtiger, grauhaariger Mann, ohne äussere Showeffekte und nur von seiner Gitarre begleitet, die Lieder, neue wie alte, auf das Wesentliche reduziert – sind, ebenso zurückhaltend beworben, in der Regel ausverkauft.
Und ein Ende ist nicht in Sicht: Im kommenden Frühling wird Mey bei seiner Plattenfirma ein weiteres Mal ein frisch aufgenommenes, fixfertig abgemischtes und gemastertes Album einreichen, das dann, ganz und gar unverändert, am 3. Mai in den Handel kommt (eine solche Verfügungsgewalt über das eigene Werk ist fast beispiellos in der Branche). Die neue Produktion soll “Dann mach’s gut” heissen.
“Dann mach’s gut!” – das wünsche auch ich: Reinhard Mey zum heutigen Siebzigsten. Mögen noch viele weitere folgen!
Zum Einstieg seien an dieser Stelle die folgenden Alben empfohlen: “Mein achtel Lorbeerblatt” (1972), “Wie vor Jahr und Tag” (1974), “Farben” (1990), “Flaschenpost” (1998) und der Kinderlieder-Sampler “Mein Apfelbäumchen” (1989).