Posts tagged: Reinhard Mey

Meysterfeyer

By , 21/12/2012 05:39

Das kleine (und weiterhin feine) Lied mit der Luftaufsichtsbaracke kannte ich natürlich schon lange, als ich dessen Texter, Komponisten und Sänger zum ersten Mal auftreten sah: an einem Samstagabend im Januar 1997, bei “Wetten, dass..?”, mit “Lilienthals Traum”. Eigentlich unvorstellbar: Es ist Showtime – und ein schmächtiger, grauhaariger Mann singt live, ohne äussere Showeffekte und in deutscher Sprache ein beinahe achtminütiges, textlastiges, symphonisches Heldenepos über einen Flugpionier aus dem 19. Jahrhundert. Damit, mit dem Lied und dem grossartigen, wie aus der Zeit gefallenen Vortrag, hatte er mich im Sack – ein für allemal: Es sollte der Beginn sein einer bis zum heutigen Tag anhaltenden Freude an den Beobachtungen, dem Sprachvermögen, der Dichtkunst, den Melodien des Liederdrechslers Reinhard Mey.

Sein phänomenales Werk ist eine bunte Mischung von Liedern zu, fast, allem Erdenklichen. Da wechseln sich munter ab: Geschichten und Gedanken über und für seine Kinder (in all deren Lebensphasen); die präzise Darstellung von Figuren, Ereignissen, Entdeckungen in der nahen und fernen Geschichte; philosophische Betrachtungen über Alltägliches, aber auch über das ganz Grosse (oftmals kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-Auch); meist kitschfreie Oden an seine Frau Gemahlin, die Liebe per se, die Musik, seine grosse Sehnsucht (und das spätere Hobby): das Fliegen; mal lockerflockige, mal beissende Gesellschaftskritik; Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend; augenzwinkernde Selbstbetrachtungen; Reflexionen über Vergänglichkeit und Tod; immer wieder sein Berlin – und vieles mehr.

In den über vierzig Jahren seiner Liedermacherei sind noch und nöcher hinreissende Werke in deutscher, französischer, niederländischer Sprache entstanden, die mich begeistern – und ist der Name Mey zu einer festen “Marke” in der Musikbranche geworden: Die Alben, die er weiterhin im Zwei- bis Drei-Jahres-Takt aufnimmt und veröffentlicht (letzteres immer, natürlich, im namensverwandten Monat Mai), verkaufen sich, fast ohne Werbung, hervorragend, die sich daran anschliessenden Tourneen – gut sechzig lange Abende am Stück, an denen er, schmächtiger, grauhaariger Mann, ohne äussere Showeffekte und nur von seiner Gitarre begleitet, die Lieder, neue wie alte, auf das Wesentliche reduziert – sind, ebenso zurückhaltend beworben, in der Regel ausverkauft.

Und ein Ende ist nicht in Sicht: Im kommenden Frühling wird Mey bei seiner Plattenfirma ein weiteres Mal ein frisch aufgenommenes, fixfertig abgemischtes und gemastertes Album einreichen, das dann, ganz und gar unverändert, am 3. Mai in den Handel kommt (eine solche Verfügungsgewalt über das eigene Werk ist fast beispiellos in der Branche). Die neue Produktion soll “Dann mach’s gut” heissen.

“Dann mach’s gut!” – das wünsche auch ich: Reinhard Mey zum heutigen Siebzigsten. Mögen noch viele weitere folgen!

Zum Einstieg seien an dieser Stelle die folgenden Alben empfohlen: “Mein achtel Lorbeerblatt” (1972), “Wie vor Jahr und Tag” (1974), “Farben” (1990), “Flaschenpost” (1998) und der Kinderlieder-Sampler “Mein Apfelbäumchen” (1989).

Wunder, niederschwellig

By , 13/11/2011 17:18

Meine Hochachtung für Reinhard Mey ist den Lesern dieses Blogs seit September bekannt. So ist es keine Überraschung, dass ich den Mann hier einmal berücksichtigen muss.

Mitte der Neunziger, 1996 war es, veröffentlichte Mey auf dem auch sonst weitgehend überzeugenden Album “Leuchtfeuer” das Fünf-Minuten-und-ein-paar-zerquetschte-Juwel “Nein, ich lass dich nicht allein”. [1] Daraus hier die 2. Strophe:

Ich kram’ die Fotoalben vor. Hier, sieh mal, das war vor zwölf Jahr’n,
Da sind wir nach Saint-Jean gefahr’n
Und auch in Lourdes vorbeigekommen.
Und von der Quelle mit dem Rummel, der dir jeden Glauben raubt,
Hast du für Hans, der daran glaubt,
Einen Kanister mitgenommen.

Und als kurz vor Vic-Fézensac das Auto Kühlwasser verlor,
Holtest du den Kanister vor,
Um ihn andächtig aufzuschrauben.
Dann fülltest du den Kühler auf, ich traute meinen Augen nicht,
Doch seitdem ist der Kühler dicht!
Da soll man nicht an Wunder glauben?!

(Aus: “Nein, ich lass dich nicht allein”, Text und Musik: Reinhard Mey, Rechte: Maikäfer Musik Verlag, Berlin.)

Mit diesen Dichterworten wünsche ich den Lesern dieses Blogs eine gute Woche. Vielleicht ergreifen wir – ja: sogar wir Reformierten! – hin und wieder die Gelegenheit… und wundern uns?

[1] Den Kauf der CD kann ich besten Gewissens empfehlen. Entstanden in der zweiten “Hochzeit” von Meys Schaffen (ich zähle die Veröffentlichungen der Jahre 1971-1977 bzw. 1990-2000 zu seinen besten), enthält es mit “Lilienthals Traum” ein weiteres Meysterwerk erster Güte.

O heilige Vielfalt!

By , 11/09/2011 19:05

Noch eine Woche – dann nimmt die vorlesungsfreie Zeit ein Ende. Bei mir beginnt das fünfte Semester des Theologiestudiums. Rückblickend stelle ich fest: Schneller sind zwei Jahre noch nie vorbeigegangen in meinem Leben! Es gab bisher keinen Grund für einen ungeduldigen Blick auf die Uhr: Theologie beschäftigt ganz gut. Und ich glaube, sie hält, geistig zumindest, einigermassen jung.

Der Blick in die Hörsaalreihen wird auch im neuen Semester wieder zeigen: Die Vielfalt unter den Studenten ist gross. Als ich noch Publizistik studierte, im Erststudium, musste ich feststellen, dass Sozialwissenschafter sich zwar gerne unkonventionell geben, genau darin bisweilen aber austauschbar sind; der grosse Reinhard Mey prägte hierfür den Begriff der “Nonkonformisten-Uniform”. Die Unterschiede jedenfalls, die Lebensentwürfe und Geisteshaltungen betreffen, scheinen mir unter den Theologiestudenten ein Vielfaches grösser. (Kein Grund für Selbstgerechtigkeit allerdings: Es gibt ja, Achtung: Euphemismus!, nicht nur “horizontale”, sondern auch “vertikale” Unterschiede!)

Die Vielfalt liegt sicher auch darin begründet, dass ein Grossteil der Theologiestudenten das sprichwörtliche “gerüttelt Mass” Lebens- und Berufserfahrung mitbringt: Zweitstudien und andere “Umwege” sind keine Seltenheit, so dass für manchen, der die Theologische Fakultät zum ersten Mal besucht, nicht auf den ersten Blick ersichtlich wird, wer die Bachelorarbeit noch vor sich – und wer die Habilitation längst hinter sich hat. Nicht nur, aber auch.

Diese Vielfalt gibt es auch in der theologischen Praxis, d.h. innerhalb der Pfarrschaft: kaum ein Zeitungsartikel über einen Pfarrer, in dem sich die (immer positiv gemeinte) Feststellung findet, dass das beschriebene Objekt “kein typischer Pfarrer” sei. “Der typische Pfarrer” ist ein Phantom.

Eindrücklich gezeigt hat sich mir dies ganz konkret im laufenden Jahr. Als Präsident der Pfarrwahlkommission in meiner Kirchgemeinde hatte ich, wie meine dreizehn Kolleginnen und Kollegen in der Kommission, mit zahlreichen Bewerbern zu tun. Sie alle hatten Theologie studiert – bis auf einen selbsternannten Prediger, der sich denn auch gleich zweimal mit demselben Schreiben an mich wandte -, sind ordiniert und interessierten sich für die offene Pfarrstelle am Ort. Das war es dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. (Heute hat die Kirchgemeindeversammlung unseren Wahlvorschlag gutgeheissen.)

Die “heilige Vielfalt” unter uns Theologiestudenten und Jungtheologen macht die Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer nicht einfach: Wir stehen alle an einem anderen Ort. Das Konkordat der Deutschschweizer Kantonalkirchen, welches die praktische Ausbildung, d.h. unsere Vorbereitung auf das Pfarramt, übernimmt, ist diesbezüglich sicher nicht zu beneiden. Aber mit etwas gutem Willen liessen sich sicher Modelle finden, welche die unterschiedlichen Erfahrungshorizonte von uns Studenten angemessen berücksichtigen – so viele sind wir ja nicht. Ob das Konkordat dies tut und inwiefern das Konkordat und die Zürcher Landeskirche sich für “ihre” Studenten interessieren und einsetzen – voraussichtlich im Herbstsemester 2012/13, wenn ich die landeskirchlich organisierte praktische Ausbildung aufnehme, werde ich dies erfahren.

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