Posts tagged: Praxissemester (EPS)

Durch die Mitte

By , 19/06/2012 08:58

“Und wieder einmal neigen sich Semesterferien dem Ende zu”, schrieb ich vor gut vier Monaten. Seit letzter Woche gilt: Das vierzehnwöchige Veranstaltungsintermezzo und die anschliessende Prüfungszeit sind vorbei, “und schon wieder haben wir Semesterferien”. Läppische drei Vorlesungen habe ich zuletzt noch besuchen müssen, um mein Bachelor-Konto zu füllen (die Bachelorarbeit steht aber noch aus), eine einzige Prüfung nur galt es zu schreiben – und doch bin ich müde.

Müde einerseits wegen des kirchenpolitischen Begleitprogramms des vergangenen Halbjahres, das viel Zeit und Gehirnschmalz forderte. Anderseits, und gewiss vor allem, auf dieselbe Art müde wie der schwimmende Seeüberquerer in der Mitte des Gewässers: Das Ufer, an dem er losschwamm, mag ja schon weit weg sein – die Strecke, die vor ihm liegt, ist noch einmal ganz genau so lang, und die Bewegungen sind immer dieselben und die Muskeln müde und das Wasser kalt. Zurück? Bringt doch nichts! Nach vorne? Klar! Aber eben: Das dauert. Die Mitte des Sees, sinnbildlich gesprochen, habe auch ich jetzt erreicht: Sechs Semester liegen hinter mir, bestimmt noch einmal sechs Semester (inkl. des kirchlich organisierten Praxissemesters) vor mir. Zu senior für die Anfängersachen, zu junior für grössere Unternehmungen und für den Abschluss sowieso – mittendrin halt.

Da gibt es nur eines: zügig die ausstehende Philosophie-Proseminararbeit schreiben, dann Vorbereiten und zumindest Inangriffnahme der Bachelorarbeit – und im Herbst ab ins Praxissemester, will heissen: hinaus (bzw. hinein) in die Mikrokosmoi Kirchgemeinde und Altersheim. Auf das Uni-lose, dafür praxisrelevante(re) Halbjahr freue ich mich. Und wenn alles gut geht, werde ich danach gewiss frischen Geistes an die Fakultät zurückkehren, mit einem Zielufer – dem Pfarramt, so hoffe ich – vor Augen, das noch heller leuchtet und stärker anzieht als bis anhin schon. Dann fällt der Schwumm dahin auch automatisch wieder etwas leichter.

Auf dem hohen Ross

By , 29/05/2012 07:04

Die Kirche und die Privatwirtschaft: eine Geschichte voller Vorurteile – meiner Erfahrung nach allzu oft auch von kirchlicher Seite ausgehend. Auf wohlfeile Generalabrechnungen mit “der Wirtschaft” aus dem doch eher geschützten Bereich von Kirchgemeinde und Theologischer Fakultät reagiere ich allergisch.

Manchmal habe ich den Eindruck, ich sei weit und breit der Einzige, dem dies so geht. Dass es dann aber doch nicht so schlimm ist, zeigt ein Interview mit der Unternehmensberaterin Eva Häuselmann, das in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung “Reformierte Presse” (Nr. 21, 25.5.2012) veröffentlicht wurde:

“Theologen sind für Wirtschaftsfragen nicht ausgebildet. Was darf man von ihnen erwarten?

Häuselmann: Vor allem, dass sie ihre fehlende Hörbereitschaft und die Vorurteile aufgeben. Es wäre wichtig, dass sie das Unternehmertum einmal mit anderen Augen sehen. An der Universität wird darauf nicht viel Wert gelegt. Und wenn, dann wird nur theoretisch über Wirtschaft geredet. Und wenn Theologiestudenten ihr kurzes ‘Wirtschaftspraktikum’ dann zum Beispiel bei einem Friedhofsgärtner machen, frage ich mich schon, ob das Praktikum diesen Namen überhaupt verdient.”

(Erschienen in: “Reformierte Presse”, Nr. 21, 25.5.2012, S. 5; Autor: Herbert Pachmann)

Dies zu lesen, tat gut – und bedeutete für mich ein kleines, grosses Déjà-vu, hatte ich doch für die Bubiker Gemeindebeilage von “reformiert”, den “Chileblick”, vom September 2010 in einem ansonsten positiven Artikel zu Theologiestudium und praktischer Ausbildung ganz Ähnliches geschrieben:

“Eine andere Kollegin hat für den Bereich ‘Wirtschaft’ zwei Wochen lang Pferdeställe ausgemistet… Das ist zwar eine ehrenwerte Arbeit – dem Ziel, künftige Steuergeldempfänger einem privatwirtschaftlichen Umfeld auszusetzen, aber gewiss nicht förderlich. Hier wird sich meiner Meinung nach einiges ändern müssen.”

Immerhin, das Gute zum Schluss: Nach der Einführung ins kirchliche Praxissemester, das ich im Herbst antreten werde, habe ich den ehrlichen Eindruck, es habe sich schon etwas geändert, die Ansprüche seien inzwischen etwas andere. Sollte dem so sein, kann sich die Investition des Praktikums-Halbjahres tatsächlich auszahlen – letztlich, so hoffe ich, für alle Seiten.

Partizipperlein

By , 15/05/2012 14:41

Heute erreichte mich, wie alle Kolleginnen und Kollegen, die Bitte der Uni, mich zügig für das kommende Semester einzuschreiben. Absender des E-Mails: die Abteilung Studierende.

Nun meine bange Frage: Wenn ich im Herbstsemester wegen Praktikumsabwesenheit vorübergehend kein Studierender bin, sondern nur Student – gibt es dann niemanden, der mich liebevoll verwaltet?

In der zweiten Hälfte offensiver

By , 25/04/2012 15:14

Heute vor zwei Jahren, an einem schönen Sonntag im April, feierte ich gleichzeitig einen runden Geburtstag und eine ebenfalls runde Wiederwahl in die Bubiker Kirchenpflege. Nun ist also schon Halbzeit – wohl, hoffentlich, nicht meines Lebens, ganz sicher aber der laufenden vierjährigen Legislaturperiode.

Zugleich neigt sich wahrscheinlich auch meine Bubiker Zeit der zweiten (und damit, die Rechner unter Ihnen ahnen es, letzten) Hälfte zu. Denn auch wenn diese wunderschöne, lebhafte Oberländer Gemeinde in den viereinhalb Jahren, in denen ich nun hier wohne und lebe, zu meiner Heimat geworden ist: Irgendwann, eben: in gut viereinhalb Jahren, nach Studium und Vikariat, werde ich sie verlassen müssen, sollte ich andernorts eine höherprozentige Pfarrstelle antreten – die Wohnsitzpflicht, die ich unterstütze, will es so.

Höchste Zeit also, mich bei allem kommunalen Engagement verstärkt nach aussen zu orientieren! Und so erwarten mich im neuen Lebensjahr nicht nur das semiobligatorische kirchliche Praxissemester, das ich zur Horizonterweiterung in einer urbanen Kirchgemeinde absolvieren werde – nein, ich freue mich auch sehr darauf, im Sommer und später einige Pfarrerinnen und Pfarrer ausserhalb der Bezirksgrenzen persönlich kennenzulernen: Praktiker, auf die ich über Facebook und durch Kommentare im Blog aufmerksam wurde und von denen ich gerne noch viel mehr erfahren möchte – über sie persönlich, ihren Werdegang, ihre Erfahrungen mit und in der Kirche, unter Kollegen wie in der Arbeit mit der Gemeinde, und noch vieles mehr.

Auf diese aktiv gesuchten Begegnungen im neuen Lebensjahr und die Impulse, die sie mir gewiss geben werden, bin ich gespannt.

Im Zusammenhang verstanden

By , 23/02/2012 06:51

Als sich Robert Gernhardt 1996 einer schweren Herzoperation unterziehen musste, liess er es sich nicht nehmen, den Anlass so vor- und nachzubereiten, wie dies einem Dichter angemessen ist: mit Gedichten. Daraus entstand die Sammlung “Herz in Not: Tagebuch eines Eingriffs in einhundert Eintragungen”.

Ich mag Gernhardt sehr – in meiner Familie gibt es einige Ärzte – mich interessiert die theologische Praxis. Dieses Dreierlei findet sich, und dies sehr gelungen, in der folgenden Gedankenskizze, die deshalb ganz gut hierher passt. Schon im Spitalbett, aber noch vor der Operation, schrieb Gernhardt:

2.6.[1996] Sonntagmorgenandacht

“Bis hierher hat uns
Gott gebracht in
seiner grossen
Güte”
– vielleicht sollte
mal jemand dem Chor
im Haus-Sender stecken,
dass er vor Krankenhausinsassen singt.

(Aus: Robert Gernhardt, Lichte Gedichte, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1999, S. 225 – hier ist die Gedichtesammlung “Herz in Not” in Kapitel IX, “herzlich”, integriert)

Ich freue mich darauf, mich ab Herbst im kirchlichen Praxissemester zum ersten Mal semiprofessionell-diakonisch betätigen zu dürfen – unterdessen habe ich auch eine Kirchgemeinde gefunden, die mich für ein paar Wochen aufnimmt.

Auch wenn es, wie ich mich kenne, nicht nötig sein dürfte: Die obigen Zeilen von Robert Gernhardt werden mich als Sensibilitäts-Ausrufezeichen begleiten.

Das Nächste: Einmal Praxisluft schnuppern

By , 17/01/2012 08:44

Wer reformierte Theologie studiert und das Ziel hat (oder sich wenigstens die Möglichkeit offen lassen möchte), nach dem Studium ein Pfarramt in der Deutschschweiz anzutreten, durchläuft eine zweigleisige Ausbildung, die sich, vereinfacht dargestellt, auf die folgende Formel bringen lässt: “Theorie an der Universität, Praxis bei der Landeskirche”. Dies ist nicht zuletzt auf die vielgeforderte (aber längst nicht realisierte) Trennung von Kirche und Staat zurückzuführen – und wohl auch im Interesse der Kirche selbst: Wenn die Verantwortung für den pfarramtlichen Nachwuchs bei ihr selbst liegt, kann sie, wenn sie es gut macht, ihre Erfahrungen direkt in das Ausbildungssystem einfliessen lassen.

Die evangelisch-reformierten Landeskirchen der Deutschschweiz, mit Ausnahme Berns, arbeiten in punkto Aus- und Weiterbildung zusammen, in der Form eines Konkordats. Das kirchlich verantwortete Praxis-Programm, das hier jeder Theologiestudent, Kolleginnen sind mitgemeint, mit Ambitionen auf ein Pfarramt durchlaufen muss, sieht folgendermassen aus:

1. Er lässt sich von einem Mentor mit Pfarramts-Erfahrung durch das Studium begleiten.

2. Er führt vier Gespräche mit der sogenannten Kommission für entwicklungsorientierte Eignungsabklärung (kurz: KEA). Diese Gespräche finden zu relativ klar festgelegten Zeitpunkten statt: zu Beginn des Studiums, vor und nach dem Praxissemester (s. Punkt 3) sowie nach dem Vikariat (s. Punkt 4).

3. Er absolviert, gewöhnlich zwischen Bachelor- und Masterstudium, das sogenannte EPS. Das Kürzel steht für Ekklesiologisch-Praktisches Semester, was im übertragenen Sinne bedeutet: “einmal Praxisluft schnuppern”. Dieses praktische Semester findet, abseits bzw. anstelle der Uni, in einer Gemeinde nach Wahl statt und beinhaltet mehrwöchige Einsätze in den vier Bereichen Kirchgemeinde, Diakonie, Wirtschaft und Schule. Dazwischen gibt es immer wieder Ausbildungselemente, zu denen sämtliche Praktikanten des Konkordats zusammengezogen werden.

4. Er absolviert nach dem universitären Master-Abschluss, d.h. als “fertiger” Theologe (ein Widerspruch in sich, ich weiss), ein Vikariat in einer Kirchgemeinde: ein Praxisjahr, das grundsätzliche sämtliche Aufgaben beinhaltet, die auf einen Pfarrer zukommen – vergleichbar mit dem Praxisjahr, das bei den Juristen Bedingung für die Zulassung zur Anwaltsprüfung ist. Auch dieser Einsatz wird durch Ausbildungskurse unterbrochen. Ist das Vikariat erfolgreich beendet, kann der Theologe ordiniert werden. Danach erfüllt er sämtliche Voraussetzungen, um sich ins Pfarramt wählen zu lassen.

Weshalb ich all dies erwähne? Nun, nachdem bei mir Punkt 1 erfüllt und Punkt 2 im Tun ist, werde ich in Bälde, im Herbstsemester 2012/13, die dritte Stufe des Pfarramt-Shuttles zünden. Die Anmeldung für das Praxissemester ist angenommen, das Vorgespräch beim Konkordat habe ich gestern hinter mich gebracht – im August geht es los. Wo, steht noch nicht fest. [1]

Selbstverständlich werde ich ab Spätsommer über meine Erfahrungen berichten.

[1] Nachtrag vom 8.2.2012: Ich habe eine sehr interessante EPS-Gemeinde gefunden. Mehr dazu, wenn es losgeht.

Die Ballade von Immernoch und Längstschon – zu Silvester/Neujahr

By , 31/12/2011 11:03

Wie schön sie doch sind, die Tage zwischen den Jahren: Das alte Jahr ist nicht mehr, das neue noch nicht. Für alles gibt es eine Stunde, sagt man – in diesen Tagen: die stille Stunde zur Entspannung im Raum zwischen dem Nichtmehr und dem Nochnicht. Zur Ruhe kommen, endlich…

Pustekuchen.

Jetzt erst finde ich doch Zeit dafür, nach dem Alltäglichen der vergangenen elfeinhalb Monate die letzten (und teilweise vorletzten) Pendenzen des alten Jahres abzuarbeiten und mich auf die ersten Wochen im neuen Jahr vorzubereiten. Das Nichtmehr des alten Jahres ist in Wirklichkeit ein lautes, forderndes Immernoch, das Nochnicht des neuen ein ebenso lautes, forderndes Längstschon.

Doppelte Arbeit also.

Und so habe ich die vorlesungs- und unterrichtsfreie Zeit zwischen Weihnachten und Silvester v.a. damit zugebracht, die über das Jahr angesammelten Kleintiere kurzzeitig über meinen Körper gewinnen zu lassen, meine Proseminararbeit zu Løgstrups Ansatz der “ethischen Forderung” doch noch fertigzustellen und, ebenfalls längst geplant, ein Arbeitszeugnis zu formulieren (immer wieder eine Herausforderung) – zugleich aber auch schon damit, den Unterricht der ersten Nachferienwoche sowie eine Hebräisch-Gesamtrepetition für die Tutoratsgruppe vorzubereiten. Jetzt steht noch ein Grossputz an. Wenn ich schon einmal dran bin…

Heute abend immerhin wird eine Pause eingeschaltet.

Ich verneige mich in grosser Dankbarkeit vor dem ausgehenden Jahr. Dieses war, soviel steht fest, das bis anhin ereignis- und lehrreichste, was mein Engagement in den Bereichen Theologie und Kirche anbelangt. Ich durfte beispielsweise feststellen, dass meine theologische Urteilskraft in den vergangenen zwei Semestern einige Fortschritte gemacht hat und ich mich mehr und mehr imstande fühle, an den Diskussionen in den universitären Veranstaltungen ernsthaft teilzunehmen. Auch denke ich sehr gerne an das religions- und bibelwissenschaftliche Seminar in Jerusalem und an das Barth-Blockseminar auf dem Leuenberg zurück, ebenso an die (erfolglose) Kandidatur für das Kirchenparlament und die (bisher erfolgreiche) Leitung der Bubiker Pfarrwahlkommission. Es ist viel gelaufen, und ich habe, es ist tatsächlich so einfach, nur gewonnen.

Zugleich schaue ich erwartungsvoll dem neuen Jahr entgegen. Was es für mich bereithalten wird? Der Uni-Stundenplan des ersten Semesters jedenfalls ist kreditpunktebedingt bereits stark reduziert, und im zweiten Halbjahr geht es in die praktische Ausbildung durch das Konkordat, was, beides, so hoffe ich, einige neue Erfahrungen und Impulse ermöglichen und bringen wird. Darauf bin ich gespannt. Wenn das neue Jahr nur halb so lehr- und abwechslungsreich wird wie das alte, bleibe ich ein glücklicher, zufriedener Mensch.

Das wünsche ich auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser: eine kleine Pause heute abend und, morgen beginnend, ein gutes neues Jahr mit den richtigen Herausforderungen zur rechten Zeit.

In eigener Sache: “Reformierte Presse” berichtet

By , 16/12/2011 09:09

Die Wochenzeitung “Reformierte Presse” stellt in ihrer Rubrik “Wendepunkt” wöchentlich eine Person aus dem theologischen oder kirchlichen Bereich vor. In der aktuellen, heute erschienenen Ausgabe (Nr. 50, 16.12.2011) befindet sich nun ein Portrait über mich. Den Text, verfasst von Herbert Pachmann, finden Sie auf der Rückseite der Zeitung – und, dank freundlicher Genehmigung durch den Verlag, auch hier:

Unterschiedliche Rollen als Herausforderung

Reto Studer aus Wolfhausen ZH ist auf Umwegen zum Theologiestudenten geworden

Bei gewichtigen Entscheiden habe ich bislang immer meinem Bauchgefühl vertraut. Damit bin ich ganz gut gefahren. Dies war schon so, als ich nach meinem Studienabschluss in Publizistik und Staatsrecht eine Stelle im Headhunting antrat. Drei Jahre lang war ich in diesem Bereich tätig. Das konzeptionelle Arbeiten in einem anspruchsvollen Umfeld, aber auch die anregenden Gespräche mit den Kandidaten habe ich sehr geschätzt. Es hätte gut so weitergehen können. Auf der anderen Seite wurden mehr und mehr auch Glaubensfragen in mir laut, denen ich unbedingt intensiver nachgehen wollte. Kirchlich eher lau sozialisiert, überlegte ich mir jetzt, ein Theologiestudium anzuhängen.

Mit 28 gab ich mir ein Jahr Bedenkzeit. Ich arbeitete weiter, belegte daneben aber den Hebräischkurs, den auch die Theologiestudenten zu besuchen haben. So konnte ich mir ein Bild vom Studium machen, ohne mich vorschnell für eine Zäsur zu entscheiden. Auf den Bauch hören heisst ja nicht, den Verstand auszuschalten.

2009 habe ich mich dann für das Theologiestudium eingeschrieben. Bereut habe ich das nie, auch wenn mein Lebensstil nun wieder ein anderer ist. Das Privileg, noch einmal studieren zu dürfen, wiegt das locker auf. Um meinen Unterhalt zu finanzieren, unterrichte ich an der Oberstufe, zudem bin ich Tutor an der Fakultät. Dank eines Darlehens der Eltern komme ich dann über die Runden.

Die Uni gibt mir ein solides theologisches Fundament. Daneben suche ich aber auch die kirchliche Erfahrung: Ich bin in Bubikon, passend zu meiner beruflichen Vergangenheit, Personalverantwortlicher der Kirchenpflege. Wenn es die Zeit zulässt, helfe ich auch gerne als Lektor oder im Unti aus. Theologie ohne Kirche oder Kirche ohne Theologie – das kann ich mir für mich nicht vorstellen. Mit Themen aus diesen Bereichen beschäftige ich mich auch in einem kleinen Blog (www.retostuder.ch). Das Schreiben zwingt mich, meine Ideen und Argumente besser zu durchdenken. Aber ich hoffe natürlich auch, dass die Texte gelesen werden.

Manchmal werde ich gefragt, wie ich alle diese Aktivitäten unter einen Hut bringe. Ich bin sicher gut strukturiert. Vor allem aber trenne ich Berufliches und Privates kaum: Wenn mich etwas interessiert, engagiere ich mich dort eben auch. So sind die Grenzen zwischen Pflicht und Musse fliessend. Ausserdem kann ich beim Musikhören bestens auftanken.

Die eigentliche Herausforderung ist eher das Wechseln zwischen den verschiedenen Rollen: Student, Vorgesetzter als Kirchenpfleger, Lehrer von Jugendlichen, Kommunikator beim Bloggen. Meistens klappt das ganz gut. Das Engagement an verschiedenen Orten ist sicher keine schlechte Vorbereitung auf eine Arbeit im kirchlichen Bereich, beispielsweise auf das Pfarramt. Die Praktika im nächsten Jahr werden zeigen, ob das Pfarrersein in Frage kommen kann.

(Erschienen in: “Reformierte Presse”, Nr. 50, 16.12.2011, S. 16; Autor: Herbert Pachmann)

O heilige Vielfalt!

By , 11/09/2011 19:05

Noch eine Woche – dann nimmt die vorlesungsfreie Zeit ein Ende. Bei mir beginnt das fünfte Semester des Theologiestudiums. Rückblickend stelle ich fest: Schneller sind zwei Jahre noch nie vorbeigegangen in meinem Leben! Es gab bisher keinen Grund für einen ungeduldigen Blick auf die Uhr: Theologie beschäftigt ganz gut. Und ich glaube, sie hält, geistig zumindest, einigermassen jung.

Der Blick in die Hörsaalreihen wird auch im neuen Semester wieder zeigen: Die Vielfalt unter den Studenten ist gross. Als ich noch Publizistik studierte, im Erststudium, musste ich feststellen, dass Sozialwissenschafter sich zwar gerne unkonventionell geben, genau darin bisweilen aber austauschbar sind; der grosse Reinhard Mey prägte hierfür den Begriff der “Nonkonformisten-Uniform”. Die Unterschiede jedenfalls, die Lebensentwürfe und Geisteshaltungen betreffen, scheinen mir unter den Theologiestudenten ein Vielfaches grösser. (Kein Grund für Selbstgerechtigkeit allerdings: Es gibt ja, Achtung: Euphemismus!, nicht nur “horizontale”, sondern auch “vertikale” Unterschiede!)

Die Vielfalt liegt sicher auch darin begründet, dass ein Grossteil der Theologiestudenten das sprichwörtliche “gerüttelt Mass” Lebens- und Berufserfahrung mitbringt: Zweitstudien und andere “Umwege” sind keine Seltenheit, so dass für manchen, der die Theologische Fakultät zum ersten Mal besucht, nicht auf den ersten Blick ersichtlich wird, wer die Bachelorarbeit noch vor sich – und wer die Habilitation längst hinter sich hat. Nicht nur, aber auch.

Diese Vielfalt gibt es auch in der theologischen Praxis, d.h. innerhalb der Pfarrschaft: kaum ein Zeitungsartikel über einen Pfarrer, in dem sich die (immer positiv gemeinte) Feststellung findet, dass das beschriebene Objekt “kein typischer Pfarrer” sei. “Der typische Pfarrer” ist ein Phantom.

Eindrücklich gezeigt hat sich mir dies ganz konkret im laufenden Jahr. Als Präsident der Pfarrwahlkommission in meiner Kirchgemeinde hatte ich, wie meine dreizehn Kolleginnen und Kollegen in der Kommission, mit zahlreichen Bewerbern zu tun. Sie alle hatten Theologie studiert – bis auf einen selbsternannten Prediger, der sich denn auch gleich zweimal mit demselben Schreiben an mich wandte -, sind ordiniert und interessierten sich für die offene Pfarrstelle am Ort. Das war es dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. (Heute hat die Kirchgemeindeversammlung unseren Wahlvorschlag gutgeheissen.)

Die “heilige Vielfalt” unter uns Theologiestudenten und Jungtheologen macht die Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer nicht einfach: Wir stehen alle an einem anderen Ort. Das Konkordat der Deutschschweizer Kantonalkirchen, welches die praktische Ausbildung, d.h. unsere Vorbereitung auf das Pfarramt, übernimmt, ist diesbezüglich sicher nicht zu beneiden. Aber mit etwas gutem Willen liessen sich sicher Modelle finden, welche die unterschiedlichen Erfahrungshorizonte von uns Studenten angemessen berücksichtigen – so viele sind wir ja nicht. Ob das Konkordat dies tut und inwiefern das Konkordat und die Zürcher Landeskirche sich für “ihre” Studenten interessieren und einsetzen – voraussichtlich im Herbstsemester 2012/13, wenn ich die landeskirchlich organisierte praktische Ausbildung aufnehme, werde ich dies erfahren.

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