Sollen und Nicht-Können
Mittlerweile gibt es ja zu fast jedem Thema ein eigenes Nachdiplomstudium mit entsprechendem Zertifikat – nun auch, angeboten vom Zentrum für Kirchenentwicklung und der Abteilung Aus- und Weiterbildung der Zürcher Landeskirche, ein Certificate in Advanced Studies (CAS) mit dem Titel “Pfarrerin/Pfarrer-Sein als Herausforderung der Gesellschaft”.
Ohne an dieser Stelle eine Diskussion über Sinn und Unsinn dessen vom Zaun brechen zu wollen, dass heute jeder aufwendigere Weiterbildungskurs ein “Studiengang” sein muss: Bin ich der Einzige, der aus der im Titel verwendeten Formulierung nicht schlau wird? “Pfarrerin/Pfarrer-Sein als Herausforderung der Gesellschaft” – was bzw. wer soll eine Herausforderung für wen bzw. wofür sein?
Sprachlich denkbar sind etwa:
a. Pfarrerin/Pfarrer-Sein als Herausforderung für die Gesellschaft
b. Pfarrerin/Pfarrer-Sein als von der Gesellschaft an Pfarrer gestellte Herausforderung
c. Pfarrerin/Pfarrer-Sein in der Gesellschaft als Herausforderung (für Pfarrer)
Ich bin überzeugt: Der Turmerlebnis-erprobte Genitiv-Spezialist Luther hätte seine wahre Freude!
Die Informationen zum Kurs bringen schliesslich die Auflösung: Die Teilnehmer, konkret: Pfarrerinnen-slash-Pfarrer, sollen lernen, sich “auf theologisch verantwortete Weise in den gesellschaftlichen Debatten sicht- und hörbar zu machen” (mehr dazu hier). Also: nicht statisch zu verstehendes Pfarrer-Sein als, im Sinne von: gleichbedeutend mit, Herausforderung, sondern ein konkretes pfarramtliches Wirken zur (!) Herausforderung der Gesellschaft.
Dies wirft sogleich aber eine umso grössere Frage auf, nun inhaltlicher Natur: Sollte solch ein Nachdiplom-Studiengang nicht nur scheinbar, sondern tatsächlich notwendig sein – wäre dies nicht ein Armutszeugnis für unsere Kirche und die in ihr wirkenden Theologen (inkl. -nachwuchs)? “Die Gesellschaft herausfordern” ist doch seit eh und je eine der zentralen Aufgaben der verkündigenden Kirche! Ist ihr, ist uns die Fähigkeit dazu wirklich, teils zumindest, abhanden gekommen? Was ist da, ganz vorsichtig und zurückhaltend gefragt, in den vergangenen Jahren in der Ausbildung, durchaus auch an der Uni und im Privaten, schief gelaufen?