Posts tagged: Kindheitserinnerung

Schein als Sein

By , 25/11/2012 15:07

Im Wohnquartier meiner Kindheit ist vor etwa vier Jahren ein Paar in eines der alten Einfamilienwürfelchen eingezogen. Ob die beiden Neuen wollten oder nicht: Für zwei, drei alteingesessene Nachbarsfamilien stand fest, dass die grosse Tanne in ihrem Garten, schön exponiert an der Strasse gelegen, auch fortan, unter den neuen Besitzern, alljährlich mit elektrischen Kerzen für die Adventszeit gepimpt werden sollte.

Und so legten sämtliche Interessierten, selbstverständlich in Absprache mit den Neuen (welche für all die Alteingesessenen wahrscheinlich noch Jahrzehnte lang “die Neuen” sein werden), Geld zusammen für die Kerzen und mieten auch gemeinsam das Liftfahrzeug, welches für das Schmücken bzw. Entschmücken des Baumes mittlerweile notwendig ist. Endnovember für Endnovember wird seither in nachbarschaftlicher Gemeinschaftsarbeit die Tanne bekerzt.

Von diesem Happening, an dem auch meine Eltern beteiligt sind und das mit einem gemeinsamen Wienerli-Essen endet, hatte ich schon viel gehört, gestern nun war ich dabei. Schon eindrücklich: gut zehn Meter Baum, sechzehn Lichterketten à zwanzig Lämpchen, vier Stunden Arbeit (zwei Männer im Liftkorb, zwei unten, die Frauen schnatternd daneben) – und der Baum, der schon immer dort gestanden hatte, “stand”.

Dabei hatte ich, “unten”, zur Bereitstellung der Ketten für die Dekorateure, eingeteilt, ein schönes Déjà-vu: Liess der Nachbarsjunge früher an einem Stück Schnur alte Spielzeugautos und dergleichen aus seinem im ersten Stock gelegenen Kinderzimmer herunter (als Geschenk für uns Kleineren), so nahm ich von ihm, der vor einigen Jahren als Familienvater in sein ehemaliges Elternhaus zurückgekehrt ist und als Schmückender oben im Lift stand, jetzt die herunterbaumelnden Netzstecker-Enden all der Ketten entgegen, die er zuvor, Kerze für Kerze, an die Äste angeknipst hatte.

Der Baum ist also geschmückt, der Sentimentalitätsmodus eingeschaltet – meinetwegen kann der Advent in seiner immer wieder einmal auch säkularen Besinnlichkeit adveniren!

Geschüttelt und gerührt

By , 12/07/2012 06:13

Ich war ja nicht immer Theologiestudent und kirchenverständig. Unter uns: Ohne sanften Druck wäre nichts gewesen mit kirchlicher Sozialisation. Während ich die Sonntagsschule, jeweils, doch!, dienstags stattindend, ganz gerne besuchte (als Primarschüler ist man ja zumeist pflegeleicht), musste ich mich stellenweise überwinden, die Jugendgottesdienste – damals arglos “Jugo” genannt – zu besuchen, und auch die für die Konfirmation vorausgesetzten zwölf, oder waren es fünfzehn?, Gottesdienstbesuche hinzubekommen, fiel mir nicht leicht. Als mein Konf-Pfarrer vorschlug, gemeinsam ein Konzert des lokalen Ten Sings zu besuchen, und uns wissen liess, wir könnten diesen Abend umstandslos als Gottesdienst-Äquivalent anrechnen lassen, stand deshalb fest: Ich bin dabei!

Ein paar Wochen nach jenem 24.9.1995 war ich dann, begeistert vom Gesehenen und Gehörten, wirklich dabei – als Mitglied. Gut fünf Jahre war ich im Ten Sing aktiv, und in dieser Zeit habe ich einige Highlights meiner Jugend, und irgendwie auch meines Lebens, erleben dürfen. [1] Die Chorproben gehörten dazu, das Theaterspielen, klar, besonders natürlich die Auftritte – auf der grossen 1997er Tournee, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, war auch ein Soloauftritt darunter: mit “All Shook Up” von meiner Jugend- und Immer-noch-Liebe Elvis. [2] Meine Eltern hatten mir hierzu übrigens ein schweineteures, gelbes Jackett gesponsert, das den berühmten Gold-Lamé-Suit imitieren sollte. Im Nachhinein hochnotpeinlich. Aber eben auch schön.

Eine herrliche Zeit war das! Besonders die acht Tage vom 12. bis 19. Juli 1997 (Daten, an die ich mich auch heute noch ohne Nachschauen erinnere): Im Rahmen unserer Tournee mit dem Programm “Life on Stage” verbrachten wir eine grossartige Woche in süddeutschen Landen. Heute auf den Tag vor fünfzehn Jahren ging es los! Untergebracht in Eberstadt, absolvierten wir in jener Woche insgesamt vier Auftritte mit unserer gut zweistündigen Show: in einem Jugendgottesdienst in Stetten am Morgen des einen Tages (hier nur ein paar wenige Lieder), am Abend dann im Martin-Luther-Haus in Schorndorf, später in der Woche auf dem Marktplatz unseres Herbergsortes Eberstadt und zuletzt im Freizeitheim “Alte Säge” in Breitenberg (nahe Hermann Hesses Calw). Besonders an letztgenanntem Ort wurden wir vom jungen Publikum, Ferienlager-Jugendlichen, wie veritable Stars bejubelt. Wir mussten nach den Zugaben, die wir, angesteckt von der Stimmung, allesamt viel zu schnell sangen, sogar Autogramme geben, und ich war sogar, echt jetzt!, in der privilegierten Lage, ein kleines, abgeliebtes Plüschtier entgegennehmen zu dürfen. [3]

Sie ahnen es: Für mich, damals eine Rampensau vor dem Herrn (oder Herrn?), bedeuteten die Holzbretter der Bühnen in Ebnat-Kappel, Vaduz, Greifensee, in der deutschen Provinz, in Dietikon und in “unserem” Dübendorf – später dann, mit einem anderen Programm, Zürich und wiederum Dübendorf – für jeweils zwei Stunden tatsächlich, der Redewendung entsprechend, die Welt.

Ich habe dem Ten Sing viel zu verdanken: Wo wäre ich als sing-, spiel-, schreibbegeisterter Jugendlicher (wir unterhielten mit dem “Neuen NotenSpalter” eine Vereinszeitschrift, die eine rechte Zeit lang monatlich erschien und für den ich fleissig Berichte und, noch fleissiger, Unfug schrieb [4]) besser aufgehoben gewesen als unter sich selbstorganisierenden Gleichgesinnten, die in einem wohlwollenden Umfeld nach dem Trial-and-Error-Prinzip unendlich viel ausprobieren konnten – immer von einer grossartigen, da geduldigen und von sich aus nichts fordernden Kirchenpflege unterstützt und “gedeckt”? Ich war vielleicht nie freier als damals – und bin heute überzeugt, dass diese Erfahrung den Nährboden für meine spätere neuerliche Annäherung an die Kirche schuf.

Den Ten Sing Dübendorf, der zu Hoch-Zeiten vierzig oder mehr Mitglieder hatte, gibt es längst nicht mehr. Vereine und andere Freiwilligen-Gruppen stehen und fallen mit den Menschen, die sich dafür interessieren und begeistern lassen und vielleicht sogar bereit sind, Verantwortung für Gesamtbelange zu übernehmen. Manchmal ist es auch gut, wenn etwas stirbt und dafür etwas anderes wächst. Alles hat, wie es so schön heisst, seine Zeit.

Ich bin jedenfalls dankbar dafür, dass ich damals, als die Zeit des Ten Sings war, dabei sein durfte, als ein Rädchen im grossen Motor. Und ich wünsche allen Jugendlichen, dass sie eine Freizeitbeschäftigung ausüben dürfen, die sie so begeistert und absorbiert, wie dies bei mir, bei uns der Fall war – und dass sie darin ähnlich bestärkt werden und sich einer ähnlichen Unterstützung gewiss sein dürfen wie ich, wie wir damals. Vielleicht ebenfalls von Seiten einer Kirchgemeinde, die ihre Jugendangebote nicht am Reissbrett konzipiert, sondern, im für alle Seiten besten Fall, minimal-invasiv fördert, was von der Zielgruppe gewünscht wird – auch, oder ganz besonders dann, wenn es sich dabei um Kirche an der Peripherie handelt.

[1] Sind, bei Lichte betrachtet, Jugendhighlights nicht immer Lebenshighlights?
[2] Die Aufmerksamen unter Ihnen haben im verlinkten Kinderzimmer-Bild, um 1998 entstanden, auch das Pult entdeckt, von dem hier die Rede war. Die Posters habe ich übrigens nicht mehr. (Ach ja, und: Die Überschrift dieses Eintrags versucht, wie Sie vielleicht gemerkt haben, den Elvistitel aufzunehmen.)
[3] Nein, als Pfarrer werde ich solcherlei kaum erleben.
[4] Übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mir fehlen in meiner Sammlung die Ausgaben 3/1997, 4/1997, 8/1997 und 7/1998 (falls es die letztgenannte überhaupt gab). Könnte wohl jemand mit Kopien aushelfen?

Gewidmet all denen, die sich damals für unseren Ten Sing einsetzten. Und denen, die Jugendarbeit, heute und morgen, immer von den Jungen und deren Bedürfnissen her denken.

Tischgemeinschaft, zum Gedächtnis

By , 12/06/2012 08:47

Es ist tatsächlich das Holz, das einen am Treuesten durchs Leben begleitet.

Pünktlich zum Schulstart, vor der 1. Klasse, hatte ich mein eigenes Pult bekommen: auf der linken Seite ein vierschubladriger Korpus, abschliessbar, darüber eine weisse Tischplatte, beides aus massivem Holz, in der Waagrechten gehalten von zwei Metallbeinen auf der rechten Seite. Offensichtlich beste Wertarbeit: Das Möbelstück begleitete mich durch Primarschule, Gymnasium und Studium, folgte mir aus dem Kinderzimmer in meine Wohnungen in Zürich, Effretikon, Bubikon, Wolfhausen und noch einmal Wolfhausen. Ungezählte Stunden habe ich daran gesessen, ebenso viele Prüfungen daran vorbereitet, Arbeiten geschrieben – und dabei immer wieder einmal, dann, wenn auch Fleiss keinen Preis mehr versprechen wollte, auf Holz geklopft. Äusserlich wie neu, erzählte bis zuletzt allein das Innenleben eine sichtbare Geschichte: Auf dem Innenboden der zweiten Schublade von oben befand sich, unterste Schublade!, ein dunkler Fleck, von einem Sandwich herrührend, das dort, einsam und vergessen, vor Jahren einige Zeit lang vor sich hin gegärt hatte. (Die feinen Bissspuren in der Tischplatte waren dahingegen nur imaginär.)

Irgendwann aber siegen Komfort- und Platzanspruch über Sentimenta-, Loya- und andere -litäten, und so habe ich mein treues, mein teures Pult vor Kurzem, nach über einem Vierteljahrhundert in meinem Dienst, durch eine überlange Planke auf vier Beinen, ohne Korpus und noch ganz ohne Seele, ersetzt – und zunächst in den Keller gestellt, kürzlich nun, aus Platzgründen, für immer weggebracht. Unter uns: Mein Herz hat leise geweint, als wir die Entsorgungsstelle mit leerem Kofferraum verliessen.

Zuviel Wehmut, zuviel Überhöhung? Meinetwegen. Fühlen Sie sich frei, meine Erinnerungsfetzen, mit dem gebotenen Respekt!, zu entmythologisieren. Ich kann das nicht – es geht hier, hoc erat Korpus meum, um mein Pult, Mann!

Goliath ’88

By , 03/03/2012 15:22

Von Kirchenvorboten hatte ich es schon einmal.

Ein weiteres Anzeichen, das nachträglich als Ankündigung meines theologischen Interesses interpretiert werden kann, ist mir beim letzten Umzug in die Hände gefallen. Anno domini 88 (klar: 1988) schrieb ich:

Goliath

Das allererste Diktat in meinem Schülerleben – und gleich fehlerfrei. Es besteht kein Zweifel: Biblische Geschichten und theologische Inhalte lagen mir damals schon! (Der Binnenreim half sicher auch.)

Herzlichen Dank an meine erste Mentorin, Frau Keller.

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