Wörter zum Sonntag, vertikal in die Höhe schwadroniert
Die letzten Wochen und Monate waren für mich, Deutschland-Interessierter, der ich bin (siehe hier), eine interessante Zeit. Darauf muss ich, denke ich, nicht im Detail eingehen.
Inhaltlich (im Sinne von: “konkret-politisch”) möchte ich mich nicht dazu äussern. Es steht mir als Schweizer und damit Nicht-Direktbetroffenem nicht zu, und es entspräche auch nicht dem Sinn dieses Blogs. “Schuster, bleib bei deinen Leisten!” – daran halte ich mich.
Ich will aber doch, ganz grundsätzlich, festhalten, dass ich es durch und durch erstaunlich finde, dass im Rahmen der Suche nach einem Konsens-Kandidaten für das Amt des deutschen Bundespräsidenten auch Theologen und Kirchenpolitiker als Optionen genannt wurden, und davon gleich mehrere: nicht nur Joachim Gauck, sondern auch der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, und Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des deutschen Bundestags und Präses der Synode. Gewiss: Dies hängt zusammen mit der verfassungsrechtlich gewollt starken Stellung der Kirche im Staat, mit der inneren Verfasstheit der Kirche in Deutschland, eindeutig auch mit der schieren Qualität der genannten Personen – dies alles mag den Unterschied zur staatspolitischen Marginalität unserer reformierten Kirche erklären, macht den theologisch-kirchlichen Kandidatenpool in Deutschland auf dem gegebenen Niveau aber nicht minder erstaunlich.
Ebendies war gestern auch eines der Themen bei “Günther Jauch”, mit den Gästen Wolfgang Bosbach (CDU), Andrea Nahles (SPD), Hildegard Hamm-Brücher (ex-FDP), Heiner Geissler (CDU) und Ulrich Wickert (ex-ARD). Ich habe mir erlaubt, die entsprechende Passage zu transkribieren, unter grosszügiger Weglassung mancher Doppelungen, Füllwörter und Zwischenbemerkungen, und stelle sie, im Detail unkommentiert, zur Diskussion hier hinein.
“Jauch: Auch wenn jetzt alle sagen, das ist prima, und es ist grossartig, und es ist der Kandidat der Herzen – es gibt Menschen, die trauen sich im Moment nicht so richtig vor, aber man hört sie zumindest grummeln: Jetzt haben wir eine ostdeutsche Pfarrerstochter als Kanzlerin, und jetzt haben wir auch noch einen ostdeutschen Pfarrer als Bundespräsidenten. Ist das nicht zuviel protestantischer Osten? Das frag’ ich mal die Katholikin aus dem Westen. Frau Nahles – Sie sind der Gegenentwurf…
Nahles: Ja, also das war der einzige Moment, wo ich ein wenig gezuckt habe heute, ja! (lacht)
Jauch: Tatsächlich?
Nahles: Ja, also, Scherz jetzt – ich habe überhaupt kein Problem, von zwei Protestanten aus dem Osten an der Spitze unseres Staates vertreten zu werden. (Geissler: Oh…)
Jauch: Herr Geissler widerspricht…
Geissler: Also, ich finde das sehr gut. Ich finde das sehr gut, diese Entwicklung. Aber es wirft natürlich auch ein Licht auf die zunehmende Bedeutungslosigkeit des politischen Katholizismus in Deutschland. Das müssen wir auch sehen. Nicht? Und das sollten sich mal einige in der katholischen Kirche genau angucken, nicht wahr, was sich abspielt.
Jauch: Ist das das Problem der Katholiken, oder ist das das Problem der CDU?
Geissler: Nein, das ist ein Problem der Kirche, und zwar des Vatikans. Der Kurie, nicht wahr, die sich vertikal in die Höhe spiritualisiert und die politische Dimension des Evangeliums vollkommen aus dem Auge verliert. Und deswegen wird die Kirche auch nicht mehr – (Wickert: Ich find’ das doch mal gut so…) – Ne, find’ ich gar nicht gut!
Jauch: Herr Wickert, stellen wir nicht fest, da haben wir Joachim Gauck als Pfarrer, da war von Karin Göring-Eckardt die Rede, die sich für die evangelische Kirche engagiert hat, Wolfgang Huber, der ehemalige Bischof… Die Tatsache, dass also allein drei Menschen aus der Kirche doch für präsidiabel gehalten werden – zeigt das nicht, dass es eine gewisse Rückbesinnung zu diesen ursprünglichen christlichen Werten in unserer Gesellschaft doch gibt und dass man sich, wenn die Not auch an der Spitze des Staates am grössten ist, und zweimal gross war: bei Köhler und bei Wulff – dass solche Werte auf einmal wieder reüssieren?
Wickert: Also ich glaube, das erlebe ich selber, wenn ich Vorträge zu dieser Thematik halte, dass die Leute sich nach Werten sehnen und dass sie es auch gerne hören, dass man über Werte spricht. Das wird Ihnen, Herr Bosbach, ja genauso gehen, und Ihnen, Herr Geissler… Und sie möchten da auch sozusagen Leitfaden haben. Aber trotzdem bin ich der Meinung, dass das nichts mit einer neuen Religiosität in der Politik zu tun hat, denn die gesellschaftlichen Regeln, die kommen ja nicht aus dem Glauben, erstmal, sondern aus der Vernunft. Wenn wir jetzt sehen, dass man sagt, Herr Huber oder Frau Göring-Eckardt, also – Herr Gauck ist für mich schon seit langem kein Pfarrer mehr. Der ist seit 1990 in die Politik gewechselt, dadurch, dass er die Gauck-Behörde geführt hat.
Jauch: Aber Glaube und Vernunft schliessen sich doch nicht aus –
Wickert: Oh ja, es schliesst sich aus! Da gab es ein ganz spannendes Gespräch zwischen Herrn Habermas und dem Papst. (Geissler: Na na na…) Natürlich: Glaube und Vernunft schliessen sich aus. Der Glaube ist eher das Gefühl, Vernunft ist eher das, was wir aus der Aufklärung her gelernt haben.
Jauch: Aber das schliesst doch nicht aus, dass gläubige Menschen gleichzeitig als vernünftig angesehen werden –
Hamm-Brücher: Sie haben gefragt, woher kommt das, dass die Protestanten offenbar politisch aktiver sind. Da ich Mitglied der Synoden und des Kirchentagspräsidiums war – war das ein ungeheurer Prozess. Denn ‘Thron und Altar’ war die Mentalität des Protestanten früher. Es war ein Gehorsams-, Unterordnungs-Protestantismus. Wir haben jahrelang an unseren Stellungnahmen gearbeitet, und zum ersten Mal hat sich die protestantische Kirche zur Demokratie bekannt, und zwar sehr ausführlich. Und diese Wandlung hat engagierte Leute hervorgebracht, die das ernstgenommen haben. Wie gesagt, als evangelischer Christ will ich mich ja auch in der Welt engagieren. Und das ist im Augenblick… will ja das der Papst auch bremsen. Er will ja Entweltlichung seiner Kirche. Die Protestanten wollen Verantwortung in der Welt der Protestanten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, Herr Jauch.”
(Aus: “Günther Jauch”, Ausgabe vom 19.2.2012, ARD – online nachsehbar in der ARD-Mediathek, ca. Minuten 24:20-29:30)
Es scheint tatsächlich, dass Godwin’s Law für den evangelischen Diskurs umformuliert und sogar, in der neuen Form, verschärft werden muss: Ohne Vergleiche mit dem Katholizismus (oder: “dem Papst”), teils qualifiziert, teils weniger, geht es nicht – auch wenn das Thema ein ganz anderes ist. Beweise fehlen noch. Es ist derzeit, um Herrn Wickert zu zitieren, eher ein Gefühl…