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Geschüttelt und gerührt

By , 12/07/2012 06:13

Ich war ja nicht immer Theologiestudent und kirchenverständig. Unter uns: Ohne sanften Druck wäre nichts gewesen mit kirchlicher Sozialisation. Während ich die Sonntagsschule, jeweils, doch!, dienstags stattindend, ganz gerne besuchte (als Primarschüler ist man ja zumeist pflegeleicht), musste ich mich stellenweise überwinden, die Jugendgottesdienste – damals arglos “Jugo” genannt – zu besuchen, und auch die für die Konfirmation vorausgesetzten zwölf, oder waren es fünfzehn?, Gottesdienstbesuche hinzubekommen, fiel mir nicht leicht. Als mein Konf-Pfarrer vorschlug, gemeinsam ein Konzert des lokalen Ten Sings zu besuchen, und uns wissen liess, wir könnten diesen Abend umstandslos als Gottesdienst-Äquivalent anrechnen lassen, stand deshalb fest: Ich bin dabei!

Ein paar Wochen nach jenem 24.9.1995 war ich dann, begeistert vom Gesehenen und Gehörten, wirklich dabei – als Mitglied. Gut fünf Jahre war ich im Ten Sing aktiv, und in dieser Zeit habe ich einige Highlights meiner Jugend, und irgendwie auch meines Lebens, erleben dürfen. [1] Die Chorproben gehörten dazu, das Theaterspielen, klar, besonders natürlich die Auftritte – auf der grossen 1997er Tournee, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, war auch ein Soloauftritt darunter: mit “All Shook Up” von meiner Jugend- und Immer-noch-Liebe Elvis. [2] Meine Eltern hatten mir hierzu übrigens ein schweineteures, gelbes Jackett gesponsert, das den berühmten Gold-Lamé-Suit imitieren sollte. Im Nachhinein hochnotpeinlich. Aber eben auch schön.

Eine herrliche Zeit war das! Besonders die acht Tage vom 12. bis 19. Juli 1997 (Daten, an die ich mich auch heute noch ohne Nachschauen erinnere): Im Rahmen unserer Tournee mit dem Programm “Life on Stage” verbrachten wir eine grossartige Woche in süddeutschen Landen. Heute auf den Tag vor fünfzehn Jahren ging es los! Untergebracht in Eberstadt, absolvierten wir in jener Woche insgesamt vier Auftritte mit unserer gut zweistündigen Show: in einem Jugendgottesdienst in Stetten am Morgen des einen Tages (hier nur ein paar wenige Lieder), am Abend dann im Martin-Luther-Haus in Schorndorf, später in der Woche auf dem Marktplatz unseres Herbergsortes Eberstadt und zuletzt im Freizeitheim “Alte Säge” in Breitenberg (nahe Hermann Hesses Calw). Besonders an letztgenanntem Ort wurden wir vom jungen Publikum, Ferienlager-Jugendlichen, wie veritable Stars bejubelt. Wir mussten nach den Zugaben, die wir, angesteckt von der Stimmung, allesamt viel zu schnell sangen, sogar Autogramme geben, und ich war sogar, echt jetzt!, in der privilegierten Lage, ein kleines, abgeliebtes Plüschtier entgegennehmen zu dürfen. [3]

Sie ahnen es: Für mich, damals eine Rampensau vor dem Herrn (oder Herrn?), bedeuteten die Holzbretter der Bühnen in Ebnat-Kappel, Vaduz, Greifensee, in der deutschen Provinz, in Dietikon und in “unserem” Dübendorf – später dann, mit einem anderen Programm, Zürich und wiederum Dübendorf – für jeweils zwei Stunden tatsächlich, der Redewendung entsprechend, die Welt.

Ich habe dem Ten Sing viel zu verdanken: Wo wäre ich als sing-, spiel-, schreibbegeisterter Jugendlicher (wir unterhielten mit dem “Neuen NotenSpalter” eine Vereinszeitschrift, die eine rechte Zeit lang monatlich erschien und für den ich fleissig Berichte und, noch fleissiger, Unfug schrieb [4]) besser aufgehoben gewesen als unter sich selbstorganisierenden Gleichgesinnten, die in einem wohlwollenden Umfeld nach dem Trial-and-Error-Prinzip unendlich viel ausprobieren konnten – immer von einer grossartigen, da geduldigen und von sich aus nichts fordernden Kirchenpflege unterstützt und “gedeckt”? Ich war vielleicht nie freier als damals – und bin heute überzeugt, dass diese Erfahrung den Nährboden für meine spätere neuerliche Annäherung an die Kirche schuf.

Den Ten Sing Dübendorf, der zu Hoch-Zeiten vierzig oder mehr Mitglieder hatte, gibt es längst nicht mehr. Vereine und andere Freiwilligen-Gruppen stehen und fallen mit den Menschen, die sich dafür interessieren und begeistern lassen und vielleicht sogar bereit sind, Verantwortung für Gesamtbelange zu übernehmen. Manchmal ist es auch gut, wenn etwas stirbt und dafür etwas anderes wächst. Alles hat, wie es so schön heisst, seine Zeit.

Ich bin jedenfalls dankbar dafür, dass ich damals, als die Zeit des Ten Sings war, dabei sein durfte, als ein Rädchen im grossen Motor. Und ich wünsche allen Jugendlichen, dass sie eine Freizeitbeschäftigung ausüben dürfen, die sie so begeistert und absorbiert, wie dies bei mir, bei uns der Fall war – und dass sie darin ähnlich bestärkt werden und sich einer ähnlichen Unterstützung gewiss sein dürfen wie ich, wie wir damals. Vielleicht ebenfalls von Seiten einer Kirchgemeinde, die ihre Jugendangebote nicht am Reissbrett konzipiert, sondern, im für alle Seiten besten Fall, minimal-invasiv fördert, was von der Zielgruppe gewünscht wird – auch, oder ganz besonders dann, wenn es sich dabei um Kirche an der Peripherie handelt.

[1] Sind, bei Lichte betrachtet, Jugendhighlights nicht immer Lebenshighlights?
[2] Die Aufmerksamen unter Ihnen haben im verlinkten Kinderzimmer-Bild, um 1998 entstanden, auch das Pult entdeckt, von dem hier die Rede war. Die Posters habe ich übrigens nicht mehr. (Ach ja, und: Die Überschrift dieses Eintrags versucht, wie Sie vielleicht gemerkt haben, den Elvistitel aufzunehmen.)
[3] Nein, als Pfarrer werde ich solcherlei kaum erleben.
[4] Übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen: Mir fehlen in meiner Sammlung die Ausgaben 3/1997, 4/1997, 8/1997 und 7/1998 (falls es die letztgenannte überhaupt gab). Könnte wohl jemand mit Kopien aushelfen?

Gewidmet all denen, die sich damals für unseren Ten Sing einsetzten. Und denen, die Jugendarbeit, heute und morgen, immer von den Jungen und deren Bedürfnissen her denken.

Nebensaison

By , 02/07/2012 10:05

Das Hobby zum Beruf zu haben und den Beruf zum Hobby, kann gefährlich sein. Das dürften all diejenigen bestätigen können, die nicht wissen, wann genug ist. Aber nicht ausbrennen möchte ich, sondern brennen für etwas. Das setzt genügend Sauerstoff-Nachschub voraus, und den hole ich mir beim freien Schreiben, hie und da – und, immer, in der Musik: ich höre sie, ich sammle sie, und seit Frühling spiele ich sie auch wieder.

Meine Gitarre, logisch: Holz!, ist zum Glück genauso geduldig wie meine Nachbarn: immer wieder einmal ein unreiner Akkord? Wird verziehen. Sonntägliches Üben? Passt schon. Ein Weihnachtslied im Sommer? Nur zu. Und so kann es vorkommen, dass ich, wenn mir das aufgegebene Übungsmaterial fad wird, in Eigenregie ein paar schöne 3/4- bzw. 6/8-Zupfmuster einstudiere. Anhand von “Stille Nacht”. An einem Sonntag. Im Juli. [1]

Aber – abgesehen davon, dass Weihnachten für mich sowieso immer “stattfindet”: Solcherlei antizyklisches Verhalten ist wohl auch angezeigt, wenn es an Heiligabend etwas werden soll mit dem Einmannorchester vor versammelter Familienschar. Man will sich ja nicht blamieren!

[1] Ich befinde mich damit immerhin in bester Gesellschaft: Gordon Lightfoot hat seinen “Song for a Winter’s Night” ja auch, “leichtfüssig”, wie es der Name sagt, eines stürmischen Juliabends geschrieben, Elvis “Blue Christmas” u.a. einmal an einem Konzert im Memphis-Juli gesungen. (Naja: “Juli” und “Yuletide” – passt eigentlich bestens!)

Tischgemeinschaft, zum Gedächtnis

By , 12/06/2012 08:47

Es ist tatsächlich das Holz, das einen am Treuesten durchs Leben begleitet.

Pünktlich zum Schulstart, vor der 1. Klasse, hatte ich mein eigenes Pult bekommen: auf der linken Seite ein vierschubladriger Korpus, abschliessbar, darüber eine weisse Tischplatte, beides aus massivem Holz, in der Waagrechten gehalten von zwei Metallbeinen auf der rechten Seite. Offensichtlich beste Wertarbeit: Das Möbelstück begleitete mich durch Primarschule, Gymnasium und Studium, folgte mir aus dem Kinderzimmer in meine Wohnungen in Zürich, Effretikon, Bubikon, Wolfhausen und noch einmal Wolfhausen. Ungezählte Stunden habe ich daran gesessen, ebenso viele Prüfungen daran vorbereitet, Arbeiten geschrieben – und dabei immer wieder einmal, dann, wenn auch Fleiss keinen Preis mehr versprechen wollte, auf Holz geklopft. Äusserlich wie neu, erzählte bis zuletzt allein das Innenleben eine sichtbare Geschichte: Auf dem Innenboden der zweiten Schublade von oben befand sich, unterste Schublade!, ein dunkler Fleck, von einem Sandwich herrührend, das dort, einsam und vergessen, vor Jahren einige Zeit lang vor sich hin gegärt hatte. (Die feinen Bissspuren in der Tischplatte waren dahingegen nur imaginär.)

Irgendwann aber siegen Komfort- und Platzanspruch über Sentimenta-, Loya- und andere -litäten, und so habe ich mein treues, mein teures Pult vor Kurzem, nach über einem Vierteljahrhundert in meinem Dienst, durch eine überlange Planke auf vier Beinen, ohne Korpus und noch ganz ohne Seele, ersetzt – und zunächst in den Keller gestellt, kürzlich nun, aus Platzgründen, für immer weggebracht. Unter uns: Mein Herz hat leise geweint, als wir die Entsorgungsstelle mit leerem Kofferraum verliessen.

Zuviel Wehmut, zuviel Überhöhung? Meinetwegen. Fühlen Sie sich frei, meine Erinnerungsfetzen, mit dem gebotenen Respekt!, zu entmythologisieren. Ich kann das nicht – es geht hier, hoc erat Korpus meum, um mein Pult, Mann!

Auf dem Holzweg – zu Karfreitag

By , 06/04/2012 01:56

Über das Weihnachtsereignis kann jeder, aber auch wirklich jeder schreiben. Christkind, Friede auf Erden (und den Menschen ein Wohlgefallen), Lieder aus, eigentlich, längst vergangenen Tagen – es gibt kaum eine Menschenseele, die von Weihnachten nicht auf die eine oder andere Weise angesprochen und berührt ist.

Bei Karfreitag und Ostern liegen die Dinge ein wenig anders. Sperrig ist die Botschaft, missverständlich (und umstritten) der Sündenbegriff, schwer nachvollziehbar die Notwendigkeit des Sühnetods, unangenehm die Gewalt – und dann erst: Auferstehung von den Toten? Schwierig. Auch ich, das gebe ich unumwunden zu, arbeite mich daran noch ab, in der Hoffnung, irgendwann in eigenen Worten davon schreiben und reden zu können, was Karfreitag und Ostern für mich, für Sie, für uns bedeuten können. Bis es so weit ist, überlasse ich das Feld denjenigen, die hierin erwiesenermassen kompetenter sind.

Der Theologe, Pfarrer und Dichter Lothar Zenetti ist, daran besteht kein Zweifel, solch ein Mann. Er stellt in seinem aktuellen Gedichtband, “Auf Seiner Spur”, den ich nur empfehlen kann, einen ganz besonderen inneren (oder äusseren?) Zusammenhang in der Lebensgeschichte Jesu dar, der das zarte Weihnachten mit dem ruppigen Karfreitags-Geschehen verbindet – und er tut dies noch dazu mit wohltuender Leichtigkeit:

Der Holzweg

Zugegeben,
wir sind auf dem
Holzweg,
wenn wir ihm folgen.

Auf diesem mühsamen Weg
vom Holz der Krippe
im ärmlichen Stall
zum Holz des Kreuzes,
dem Marterpfahl,
an dem er litt.

Dazwischen
der harte Alltag des
Zimmermanns: Holz,
Balken und Latten ringsum.
Bretter, die die Welt
bedeuten. Das war
seine Welt. Holzgeruch
über Jahre hin.

Und nun also ich:
mit dem Brett
vor dem Kopf und dem
Balken im Auge.
Und ich (lacht nur),
ich will ihm nachgehn.

(aus: Lothar Zenetti: Auf Seiner Spur. Texte gläubiger Zuversicht, © Matthias-Grünewald-Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2011, S. 108 – unter der ISBN 978-3-7867-2878-8 zu einem Preis von Euro 14,90 im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich.)

Es ist ein kleines, ein zaghaftes, ein “minderwertiges” Nachgehen, natürlich, mit beschränkten, halt eben menschlichen, Möglichkeiten – am Holzstock gewissermassen. Aber kommt es am Ende nicht auf den Willen an?

Ihnen allen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich einen besinnlichen Karfreitag.

An dieser Stelle möchte ich dem Matthias-Grünewald-Verlag (zu dem, wenn ich das so sagen darf, das Holz-Motiv ganz gut passt) ein Kränzchen winden. Am Dienstag, 3.4., hatte ich dort um 13.31 Uhr angefragt, ob sie mir das Wiedergaberecht für obenstehendes Gedicht erteilen würden – bereits 19 Minuten später lag die Genehmigung vor. Herzlichen Dank für beides: Genehmigung und Tempo!

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