Kirchenmäuschenstill
Der alte Studer wird vermisst, offenbar: Mehrfach haben mir Kolleginnen und Kollegen, aber auch gestandene Pfarrer, gestanden, sie würden sich mich bissiger, widerspenstiger wünschen, “wie zu Beginn”. Und: “Schreib doch mal etwas gegen…!”
Ich kann das verstehen. Ehrlich. Und es stimmt ja auch: Ich bin etwas zurückhaltender geworden im letzten Jahr. Woran das liege, werde ich gefragt: Ist zurzeit “alles gut” und also nichts kritikwürdig aus meiner Sicht? Gibt es Kritikwürdiges – und ich bin einfacher genügsamer, anspruchsloser geworden? Oder hat mir, wie auch schon vermutet wurde, “die oder der da” die Zähne gezogen (oder zumindest die Flügelchen gestutzt)?
Ganz ehrlich? Natürlich wäre es gelogen, wenn ich behauptete, es gäbe aus meiner Sicht keinerlei Anlass zu Kritik und also nicht Beiträge, die geschrieben werden müssten – auf die ich dann aber verzichte. Ich glaube auch nicht, dass ich in letzter Zeit anspruchsloser und genügsamer geworden bin. Aber sie kann eben eine gute Schneiderin sein, die sprichwörtliche Schere im Kopf – aus den folgenden zwei Gründen, die beide mit meiner gegenwärtigen und künftigen An-Teil-Nahme an und in der Kirche zu tun haben:
Erstens bin ich kein Outsider (mehr). Ich stehe kurz vor dem Abschluss des Theologiestudiums und bin seit mehreren Jahren Kirchenpfleger und habe etwa auch schon einmal eine Pfarrwahlkommission geleitet. Damit ist die Kirche weniger als zu Beginn meines Blöggelens ein abstraktes Gegenüber, sondern immer mehr auch meine Kirche. Der Online-Einsatz des verbalen Zweihänders, so viel Spass er mir und offenbar z.T. auch dem geneigten Zuschauer machen mag, ist dann aber zumeist fehl am Platz. Also: Natürlich gibt es aus meiner Sicht weiterhin sehr vieles an meiner Kirche und am Konkordat zu kritisieren – ja, je mehr Einblick ich habe, desto mehr! Aber wenn ich die Kritik intern, bei den richtigen Stellen, anbringen kann, so ziehe ich dies, falls überhaupt möglich, mittlerweile vor. [1]
Das Zweitens hängt damit zusammen: Ich habe in den vergangenen ein, zwei Jahren die Erfahrung machen müssen, dass öffentlich oder auch nur schon in einer kleinen Gruppe direkt geäusserte Kritik an kirchlichen Strategien von manchen Exponenten der – zumindest meiner – Landeskirche unsachlich gekontert wird. “Man” ist, aus welchen Gründen auch immer, extrem dünnhäutig (geworden?). Und so sind wir bei einem Punkt, auf den ich nicht stolz bin: Ich möchte mich nicht noch stärker exponieren, als ich dies sowieso schon tue. Als Student und angehender Vikar bin ich im Moment auf verschiedener Ebene Bittsteller, und Bittsteller haben, so meine Erfahrung, bittzustellen – und sonst nichts. Das ist frustrierend: für mich, weil die Schere im Kopf zielgenau das Sprachzentrum trifft und deshalb manches nicht thematisiert werden kann, was unter gewöhnlichen Umständen thematisiert gehört. [2] Und vielleicht auch für manchen von Ihnen, weil der neue Studer nicht so bissig und widerspenstig ist wie der alte. Damit müssen wir wahrscheinlich leben.
[1] Von dieser Möglichkeit habe ich schon mehrfach Gebrauch gemacht. Manchmal durchaus mit Erfolg.
[2] Gerade angesichts des absehbaren Pfarrermangels wäre dies dringend notwendig, denn die Probleme sind teilweise zweifellos hausgemacht.