Posts tagged: Diakonie

…und Wollen?

By , 06/02/2013 13:42

Werde ich dereinst einmal Pfarrer sein können? Ja. Muss ich Pfarrer werden? In gewisser Hinsicht: ja, doch. Um die Modalverben-Trilogie abzuschliessen, folgt nun noch die Frage nach dem “Wollen”. Also:

Will ich überhaupt Pfarrer werden, mit allen Konsequenzen, die das Pfarrersein mit sich bringt? Ist die Kirche tatsächlich das richtige, das passende Arbeitsumfeld für mich? (…) Und, umgekehrt und genauso wichtig: Will die Kirche mich? Entspreche ich überhaupt “ihren” Vorstellungen?

Will ich? Grundsätzlich sicher: Ich habe nun sieben Semester lang Theologie studiert bzw. prakti-ziert, von Anfang an mit dem Ziel, ins Pfarramt zu gehen – und an diesem Ziel hat sich wenig geändert. Die meisten der pfarramtlichen Aufgaben reizen mich sehr, und auch oft negativ ausgelegte Aspekte des Amtes wie die Repräsentation der “Kirche” auch ausserhalb der (sowieso nicht fixen) Arbeitszeiten und die (in weiten Teilen der Kirchenlandschaft bestehende) Residenzpflicht sehe ich positiv und sogar als unabdingbaren “part of the job”, der eben mehr als ein Job ist.

Schwieriger zu beantworten ist für mich die Frage, ob “die Kirche” denn mich will. Oder: was “die Kirche” und die kirchenleitenden Behörden und Parlamente in diesen Tagen überhaupt wollen. Auf der einen Seite wird da vom drohenden Pfarrermangel gesprochen und für viel Geld schon unter Maturanden Nachwuchs gesucht – und auf der anderen Seite macht man sich, so mein Eindruck, sehr klein und (für mich) als Arbeitgeber, der die Kirche bei allem Zugehörigkeitsgefühl ja auch ist, etwas uninteressant: Ja, wir verlieren Mitglieder und zumindest im Kanton Zürich möglicherweise demnächst auch eine gute Einnahmequelle, und wir werden mancherlei ändern müssen – auch strukturell. Die Rede von den mageren Jahren (die so falsch ja nicht ist!) aber droht in meinen Augen zu einer self-fulfilling prophecy zu werden bzw. die Probleme zu verstärken, wenn zugleich Visionen und Perspektiven fehlen. Wohin also entwickelt sich die Kirche, und wie sieht sie in diesem Zusammenhang das Pfarramt der Zukunft? Was erwartet sie vom Nachwuchs – und was erwartet den Nachwuchs? Ich weiss es nicht, und ich kann deshalb auch nicht wissen, ob ich der Richtige dafür bin. [1]

Nachdem ich die Frage nach dem “Wollen” beim ersten Mal, vor fast einem Jahr, mit einem überzeugten “Ja” beantwortet hatte, bin ich zum jetzigen Zeitpunkt etwas zurückhaltender und meine: “vielleicht”.

Immerhin: Es bleibt noch etwas Zeit (für “die Kirche” und für mich), um herauszufinden, wohin die Reise in punkto Pfarramt geht: Ich werde die praktische Ausbildung jedenfalls sicher weiter verfolgen – und daneben bleibe ich halt auch für Anderes offen. [2]

Die Fragen nach dem “Können”, dem “Müssen” und dem “Wollen” begleiten mich also auch weiterhin auf meinem Weg. Spätestens nach dem Vikariat kann, muss, will ich möglichst abschliessende Antworten geben.

[1] Ich werde mich in späteren Einträgen wahrscheinlich ausführlicher mit diesen Fragen beschäftigen, zu denen für mich im Übrigen auch die Abgrenzung von Pfarramt und Sozialdiakonie gehört. Für den Moment – und zur Beantwortung der Frage nach dem “Wollen” – muss dieser Absatz ausreichen.
[2] Entsprechend beende ich den (in der Antwort auf die Frage nach dem Müssen angefangenen) Satz “Vorderhand bleibe ich also dabei [zu sagen, dass ich ins Pfarramt gehen “muss”] – ohne allerdings auszuschliessen, dass…” mit den Worten: “…zwei oder drei Herzen in meiner Brust schlagen, es daneben also noch andere ‘Müssens’ (und ‘Wollens’) geben könnte.”

Drei gewinnt, zum Zweiten

By , 28/11/2012 19:25

Wieder gesund, startete ich heute ins Kirchgemeinde-Modul des Praxissemesters. Was gibt es da Schöneres, als meine Praktikumsleiterin zur Andacht in dem Altersheim zu begleiten, in dem ich im September/Oktober das Diakonie-Praktikum absolviert habe? Wer meine Berichte über jene drei Wochen in Erinnerung hat, wird nicht erstaunt sein darüber, dass ich eine Stunde zu früh da war. Ein Versehen – aber wahrscheinlich auch ein Zeichen. Und es war dann ja auch schön!

Dank meiner überfrühen Ankunft konnte ich schon vor der Andacht die ersten Update-Schwatze führen. Als ich mich dabei von einer bestimmten Dame verabschiedete, meinte sie, dass es da etwas gäbe, was sie nach den früheren gemeinsamen Gesprächen gerne mit mir besprechen würde. Kein Problem: Ich hatte vorab mit “meiner” Pfarrerin vereinbart, dass ich nach dem gottesdienstlichen Teil noch ein wenig bleiben dürfe, um die im Herbst begonnenen Seelsorgegespräche fortzuführen. Und so suchte ich die besagte Seniorin am früheren Nachmittag in ihrem Zimmer auf. Die Fehde mit der Tischnachbarin? Beendet. Aber der geliebte Mann, mit dem sie 53 Jahre lang verheiratet war und der vor ein paar Jahren verstarb, fehlt ihr immer mehr. (Mehr zur Vorgeschichte hier). Schliesslich dann ein zaghaftes Heranwagen an die sie belastende Frage: Früher habe sie einen sehr guten Pfarrer gekannt… der aber nicht mehr lebe… und nun wisse sie nicht, wer… sie einmal bestatten würde… nicht kirchlich, aber… jemand müsse doch ein paar Worte sagen, wenn dereinst… ihre Urne zu jener ihres Mannes gelegt werde… und da habe sie schon bei den letzten Gesprächen gedacht, dass… ich… vielleicht? Aber wahrscheinlich sei es vermessen, dies zu fragen.

Nein, es ist nicht vermessen. Und eigentlich kann ich ja gar nicht ablehnen. Oder?

In eigener Sache: Lokalzeitung berichtet

By , 05/10/2012 11:32

Viel habe ich schon selbst über mein Diakonie-Praktikum geschrieben. In der letzten Woche meines kurzen Einsatzes im Altersheim wurde ich darüberhinaus von der Lokalzeitung der Gemeinde, in der ich das Praxissemester absolviere, dem “Zolliker Boten”, um ein Gespräch über das Praktikum und meine Eindrücke gebeten. Das Resultat ist in der heutigen Ausgabe abgedruckt (Nr. 40, 5.10.2012). Dank freundlicher Genehmigung durch den Verlag kann ich den Text hier wiedergeben (auch als pdf verfügbar – inkl. Föteli):

“Die Menschen in ihrem Leben begleiten”

Der 32-jährige Reto Studer hat ein Ziel: Er will ein Pfarramt übernehmen. Doch bis es soweit ist, hat er noch einen langen Weg vor sich. In den vergangenen drei Wochen arbeitete er als Praktikant im Altersheim Rebwies.

Nein, wie ein Pfarrer sieht Reto Studer nicht aus – eher wie ein Pfleger. Denn anstelle eines Talars trägt er weisse Hosen und ein blaues Polo-Shirt mit der Aufschrift “Altersheim Rebwies”. Dies hat seinen Grund: Seit drei Wochen absolviert er ein Praktikum im Rahmen seines kirchlichen Praxissemesters. Reto Studer hat mittlerweile drei Jahre Theologiestudium hinter sich. Das Praxissemester liegt zwischen Bachelor- und Masterstudium und besteht aus insgesamt vier Praktika. Im Altersheim Rebwies wird Reto Studer im Bereich der Diakonie eingesetzt.

Für den jungen Mann war die Aufnahme des Theologiestudiums ein gut überlegter Schritt. Seinen ersten Studienabschluss hat Reto Studer schon länger in der Tasche. Er erwarb das Lizenziat in Medienwissenschaften und Staatsrecht. Eher per Zufall, so erzählt er, landete er daraufhin im Personalbereich. Drei Jahre lang arbeitete er im Headhunting. Und nun will er also Pfarrer werden. Weshalb dieser Schritt? “Ich beschäftigte mich schon immer mit existentiellen Fragen. Über die Zeit verstärkte sich dann der Wunsch, diesen Fragen mehr Raum zu geben und ein Theologiestudium anzuhängen.” Er habe sich aber lange überlegt, ob dies der richtige Schritt sei. Denn er wollte kein Risiko eingehen – und kannte auch die Klischees über die Theologie: “Wie viele andere hatte ich das Vorurteil, Theologen führten ein etwas vergeistigtes Leben.” Deshalb entschloss er sich, zunächst während eines Jahres berufsbegleitend Hebräisch zu lernen. “In jenem Jahr wollte ich auch herausfinden, was für Menschen an der Theologischen Fakultät ein- und ausgehen. Und ich war positiv überrascht”, erinnert er sich an den Beginn der Ausbildung. Viele der Studierenden wählten Theologie als Zweitausbildung, das habe er nicht erwartet. Fasziniert sei er auch vom breiten Spektrum der Studierenden. “Von der Hausfrau über Pensionierte, die nur einige Fächer belegen, bis zu den Studierenden, die direkt vom Gymnasium kommen, sind alle vertreten. So kommt es immer wieder zu guten und spannenden Diskussionen. Ich glaube, diese Offenheit traut man Theologiestudenten nicht immer zu.” Nach dem “Probejahr” war er überzeugt, dass das Theologiestudium das Richtige für ihn sei.

Eine sehr spannende Aufgabe

Drei Wochen lang arbeitete Reto Studer nun im Altersheim Rebwies. Neben seinen seelsorgerlichen Aufgaben war er auch bei der Essensausgabe dabei, er half in der Cafeteria und in der Spätschicht, oder sang mit den Pensionären. Während all dieser Arbeiten suchte er immer wieder das Gespräch mit den Bewohnern, die teilweise aber auch von sich aus auf ihn zugekommen seien. Berührungsängste habe es auf beiden Seiten nicht gegeben, sein Status als “angehender Pfarrer” habe, nicht nur im übertragenen Sinn, viele Türen geöffnet: Mehrere Senioren habe er auch, aus Eigeninitiative oder auf Anraten der Pflegerinnen oder der Altersheimleitung, in ihren Zimmern besucht, um dort ausführlichere Gespräche mit ihnen zu führen – über Gott und die Welt. Oder auch einfach, um etwas mit ihnen zu unternehmen. Er erzählt vom Ausflug mit einer Pensionärin: “Ich spazierte mit der Dame an einen Ort, an dem sie früher, als junge Frau, oft war. Sie erzählte mir, dass dieser Ort für sie der Inbegriff von Heimat sei. Ohne meine Begleitung wäre sie nicht dorthin zurückgekehrt. Noch Tage danach war sie mir dafür einfach nur dankbar.” Oder da war das Gespräch mit dem Herrn, der im einen Moment mit Tränen in den Augen von seiner verstorbenen Frau erzählte und gleich danach lachend davon, dass er im Altersheim der Hahn im Korb sei. Solche Erfahrungen und Gespräche seien sehr berührend.

Wäre er als junger angehender Pfarrer eigentlich nicht bei den Jugendlichen besser aufgehoben? Reto Studer lacht und meint: “Ich unterrichte zwar im Nebenjob auf der Sekundarstufe – aber gerade nach meinen eindrücklichen Erfahrungen im Altersheim sehe ich mich durchaus auch bei den älteren Menschen. Für mich ist letztlich die Mischung spannend.”

Ein Pfarramt übernehmen

Die drei Wochen im Altersheim Rebwies sind seit Mittwoch vorbei. Im Dezember und Januar wird Reto Studer an Seite der Zolliker Pfarrerin Anne-Käthi Rüegg-Schweizer die vier zentralen Handlungsfelder des Pfarrberufs kennen lernen – auch das ein Teil des Praxissemesters. Er wird in diesen acht Wochen die Pfarrerin begleiten, Gottesdienste und den Unterricht mitgestalten, die Seelsorge und den Gemeindeaufbau kennenlernen. Dann geht es zurück an die Uni, wo ihn das Masterstudium erwartet.

Nach dem Studienabschluss wird Reto Studer das einjährige Lernvikariat absolvieren, bevor er ordiniert werden kann und als Pfarrer wählbar ist. Kommt er für das Vikariat zurück nach Zollikon? “Nein, das ist nicht erlaubt. Ich darf für das Vikariat nicht an denselben Ort, an dem ich das Praxissemester verbracht habe.” Einerseits sei das schade, weil er in Zollikon sehr gut aufgenommen worden sei, anderseits sei es aber auch gut so: “Jetzt bin ich Praktikant. Wenn ich später hierher zurückkäme, wäre ich Vikar. Das sind zwei verschiedene Rollen, die nicht vermischt werden sollten. Ausserdem sollen wir in der Ausbildung verschiedene Kirchgemeinden kennenzulernen.” Eines ist für Reto Studer sicher: “Ich strebe ein Pfarramt mit möglichst vielfältigen Aufgaben an. Ich möchte die Menschen in ihrem Leben begleiten und dabei alle Aspekte pfarramtlicher Tätigkeit abdecken.”

(Erschienen in: “Zolliker Bote”, Nr. 40, 5.10.2012, S. 9; Autorin: Sabine Linder-Binswanger)

Abschiedssirup, zartschmelzend

By , 03/10/2012 07:37

Das Praktikum im Altersheim liegt hinter mir. Selten bin ich frümorgens fröhlicher aufgestanden und abends zufriedener nach Hause gefahren als in den drei vergangenen Wochen. Es bleiben nebst sehr erfreulichen Erkenntnissen für meine berufliche Zukunft auch menschlich berührende Erinnerungen. In den tragenden Rollen erlebter Seelsorgelehre:

Die Pflegerin, die am Montag für eine hochbetagte Jubilarin einen Blumenstrauss mitbringt – und von ihren Kolleginnen erfahren muss, dass die Dame zwei Tage zuvor verstorben ist. Aus Geburtstagsblumen wird ein Erinnerungsstrauss am Essplatz der Verstorbenen.

Der Senior, der mir in seinem Zimmer auf dem Keyboard “La Paloma” vorspielt. Mit 85 Jahren ein Instrument neu erlernen, im Alter so aufgestellt und wach sein wie er – wie geht das? Der Mann reicht mir das Buch “Die Kraft positiven Denkens” (Peale). Wie es im Lied heisst: “Dein Schmerz wird vergeh’n…”

Die Dame, die ich im Rollstuhl auf eine Anhöhe schiebe, damit sie wieder einmal dorthin kommt, wo sie sich in jungen Jahren mit ihrem damals künftigen Mann lange aufgehalten hat – “Das ist Heimat!” Ein paar Tage später serviert sie mir einen Abschiedssirup. Ich mag keinen Sirup, doch diesen Sirup habe ich geliebt!

Die mir unbekannte Person, die in der Küche der Pflegeabteilung einen Zettel aufgehängt hat, auf dem steht: “Die Medi-Deckeli gehören nicht in die Abwaschmaschine, sie fallen zwischen dem Gitter durch, und die Heizschlangen lassen sie dann zart schmelzen.” Die Leute von Lindt könnten es nicht besser formulieren!

Die schwerst Demenzkranke, mit der ich, während sie auf den Besuch ihres (längst verstorbenen) Vaters wartet, lange über ihre schillernde Vergangenheit als Modedesignerin spreche. Auch in Florida hat sie einmal residiert – heute wohne sie halt wieder in der Schweiz. Kalt sei es hier, aber “I make the best of it!”.

Das neu eingezogene Ehepaar, ehemalige Leiter eines anderen Altersheims, die, noch kaum angekommen, lange mit mir sprechen. Sie schwärmen vom neuen Wohnplätzchen – und lassen mich erst gehen, als ich eine Ausgabe der selbst verfassten Familienchronik als Geschenk annehme. Viel Freude im neuen Kapitel!

Die Seniorin, die nachmittags manchmal, aus ganz freien Stücken, in der Pflegeabteilung vorbeischaut und den dortigen Bewohnerinnen und Bewohnern, die beim Kaffee sitzen, Lätzchen umbindet, nachschenkt, eine Freude macht. Als ich mich bei ihr dafür bedanke, winkt sie ab. “Nicht der Rede wert”?

Die Pflegebedürftige, die der anderen Pflegebedürftigen liebevoll eine Weintraube in den Mund steckt. Wenn das kein Abendmahl ist – was dann? Und viele andere, die sich gegenseitig helfen und unterstützen. Stilles Komplizentum, von dem wir Jungen und Gesunden ausgeschlossen sind.

Die resolute Dame, die bei den Anderen nicht besonders beliebt ist und mit der auch ich immer “zu selten”, und wenn, dann “zu kurz”, spreche. Mit der ich aber, unverhofft, besser ins Gespräch komme, als ich durch ein Foto im Zimmer feststelle, dass ich ihren Enkel kenne – er geht an “meine” Schule.

Der Pfleger, der mit der Tochter einer stetig abbauenden Bewohnerin die verschiedenen Optionen weiterer Behandlung bespricht – und der die Tochter, die das Wohl ihrer Mutter so stark im Auge hat, zuletzt fragt: “Und wie geht es eigentlich Ihnen?” Das Gespräch hat damit erst begonnen. Eine Lehrstunde in Seelsorge.

Und viele, viele andere.

Ich bin meiner Praktikumsleiterin (die mich “vermittelt” hat), der Heimleitung, den Angestellten, besonders aber natürlich den Seniorinnen und Senioren ausserordentlich dankbar für die Einblicke in das “Leben im Alter”, die sie mir, alle auf ihre je eigene Art, ermöglicht und gewährt haben – und ich freue mich jetzt schon auf die Rückkehr im Dezember: im Rahmen der Gottesdienste und Andachten, die ich dann im Auftrag der Kirchgemeinde (mein nächstes Praxis-Modul) mitgestalten werde.

Dieser Beitrag ist der letzte meiner “AltersheimErinnerungs-Trilogie”. Ich schliesse aber nicht aus, dass auch später noch die eine oder andere Erkenntnis, die ich in diesem Praktikumsteil gewinnen durfte, in meine Texte einfliessen wird. Wäre ja schön blöd, wenn nicht!

Bankauszug aus Ägypten

By , 24/09/2012 06:25

Als Theologiestudent in der kirchlichen Ausbildung zum Pfarrer stünde es mir schlecht an, diakonisches Engagement abzulehnen. Ich meine es aber doch ehrlich, wenn ich schreibe: Diakonie, der Dienst am Menschen, ist eine gute Sache! [1]

Auf jeden der allseits bekannten (Spam-)Geldüberweisungshilferufe aus Nigeria oder, wie im Folgenden geschildert, Ägypten kann ich jedoch beim besten Willen nicht eingehen. Das heisst: Ich gehe manchmal schon darauf ein – aber nur zum Schein und zum Spass. Meinem eigenen Spass, muss ich hinzufügen.

Hier ein schönes Beispiel: Lesen Sie sich zunächst einmal (quer!) durch, was ein gewisser Herr Paul mir schrieb, vorgebend, die ehemalige ägyptische Präsidenten-Familie Mubarak anwaltlich zu vertreten: [2]

Dear Sir,
We write this mail with the concept of my Client Former First Lady Suzanne Mubarak the first wife Hosni Mubarak. it is my intention and willingness of my client to contact you by Telephone but due to High security Network Placed on the Family of My Client will not allow my Client to Phone you but he Gives an express authority to contact you and finalized this project .
Mr. Hosni Mubarak Deposited some money valued US$10.7 million in Security Company Dubai to his wife but the Opposition in Egypt have come up to Stampede on the fund owned by the Mubarak Families .
My chief executives advised our clients to look for reliable person, company that can accomodate the above money pending the time tension will come to down in the land of Egypt . You are expected to invest with the above money immediately you claim the Money from the Security Company. Our Law firm will be supervising on the project you invested with the above money pending the time our Client will be able to travel outside the country and controls her investment.
If you are ready to comply and keep the entire transaction secret and confidential , I shall Give you in my next reply , The certificate of deposit of the Fund in Dubai to enable you travel down to Dubai and claim the fund accordingly and I will Furnish you with the Information of the Finance & security Company in Dubai.
You are advise to send to me the following info: Full Name & address, Your Photocopy of your International Passport or driving License for identification purposes in Dubai or your account details to enable the finance Company transfer the Fund into your account .
Your Urgent Reply is Awaited
Barrister John M.Paul

Jeder vernünftige Mensch, dem seine Lebenszeit etwas wert ist, und dabei dürfte es sich um die grosse Mehrheit handeln, würde diese E-Mail löschen, und “gut ist”. Ich aber, unvernünftig (und mit Freude am gepflegten Nonsense), antwortete umgehend, ich sei gerne bereit, den Mubaraks zu helfen – ob dabei wohl auch etwas für mich herausspringe? Und tatsächlich:

We have set aside 25% compensation for your assistance toward this.
Awaits your urgent reply.
Warm regard,
John Paul

Da ich, ehrlich gesagt, nicht mit einer Antwort gerechnet hatte, wollte ich gleich noch etwas weiterstochern. Schöner Nebeneffekt: Je mehr Zeit diese Spam-Verbrecher mit dem Tippen von E-Mails verbringen, desto weniger Zeit bleibt ihnen für ihr schändliches Handwerk – und damit für Sie! Also fragte ich weiter, den Hilfsbereiten mimend, der lediglich auf Nummer sicher gehen will: Woher der “liebe John” denn meine E-Mail-Adresse habe? Nun:

Sir,
Having gotten your particulars from the family’s library, I have no doubt about your capacity and goodwill to assist me in receiving these funds into your custody (for safety) the sum of US$10.7M willed and deposited in my favor by Husband.
Warm Regrad
JP.

Mit einer derart allgemeinen Aussage wollte ich mich nicht abspeisen lassen. Nun setzte ich, die Möglichkeit einer kleinen Schlusspointe ahnend, zur finalen Frage an: Ob er meine Kontaktdaten denn von einer ganz bestimmten Person, deren Namen ich gleich mitnannte, habe? Dies bestätigte er umgehend:

Sidi Abd-El-Assar yes

Eher nicht. Aber immerhin habe ich gut gelacht.

Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werde ich auch in Zukunft hin und wieder einen Spammer mit Nonsense eindecken, der dessen Anfragen ebenbürtig ist: als Dienst an Ihnen, die Sie solcher “Hilferufe” sicher auch überdrüssig sind. So bleibt Ihnen mehr Zeit für das Wesentliche im Leben – die Sie dann allerdings, wenn ich es recht bedenke, wieder verlieren, wenn Sie solcherlei Blogeinträge lesen…

[1] Siehe auch den Tenor der letzten Beiträge.
[2] Rechtschreib- und Grammatikfehler dürfen Sie behalten. Es hat genug für alle!

Wir sind so frei

By , 21/09/2012 06:22

Die Mitarbeiter des Altersheims, selbst dessen Leiter, beneiden mich, und mit mir sämtliche Pfarrerinnen und Pfarrer, um die Freiheit, mit der ich Gespräche führen kann: “Man merkt halt, dass Sie nur einen Chef haben – und der ist weit oben!”

Bei allen (irdischen) Zwängeleien der sichtbaren Kirche: Ein bitzeli stimmt es schon. Nicht?

Nichts Besonderes

By , 18/09/2012 19:24

Seit meinem ersten Erfahrungsbericht aus dem Altersheim sind bereits drei Einsatztage vergangen. Zeit für eine Fortsetzung, finde ich.

Ich wurde und werde weiterhin sehr vielseitig eingesetzt: Mithilfe beim Frühstücks- und Mittagessenservice. Spätdienst. Kirchenbesuch. Weitere freie Gespräche mit Seniorinnen und Senioren. (Und Anderes.)

Mithilfe beim Frühstücks- und Mittagessenservice: War ich zu Beginn, was die Essensausgabe anbelangt, in der Pflegeabteilung tätig, bekomme ich nun einen Einblick in den Mikrokosmos eines regulären Altersheim-Speisesaals. Aber was heisst schon “regulär”? Da gibt es vieles zu beachten: Verschiedenfarbige Clips an den Tischsets zeigen an, wer Diabetiker oder Schonkost-Esser ist, und mit kleinen Plastiktäfelchen auf dem Tisch können die Dam- und Herrschaften täglich neu signalisieren, ob sie vegetarisch essen möchten und/oder zusätzlich einen Salat wünschen. Da bin ich (auch wegen mangelnder Balancierfähigkeit) dankbar, dass die Hauptspeise von den Profis serviert wird und ich mich nach dem Decken der Tische bei der Schöpfstation aufhalten kann! Dort dekoriert der Praktikant die Speisen mit Gemüsewürfelchen oder einem Tomatenschnitz und führt auch die Schöpf-Endkontrolle durch: Saucenflecke am Tellerrand und dergleichen sind ein No-Go und werden mit einem Tupfer abgewischt – denn auch im Alter isst das Auge mit! Zweimal helfe ich beim Schöpfen des Mittagessens, und beide Male wird mir die Ehre einer schönen Zusatzaufgabe zuteil: Ich darf das Dessert servieren – und mache mich damit sehr beliebt bei den Pensionären. – Der Frühstücksdienst ist weniger aufwendig, und so nutze ich die freie Zeit, die es dort immer wieder gibt, um von Tisch zu Tisch zu gehen, wie ein Beizer durch sein Stübli, und mich den Bewohnerinnen und Bewohnern, mit denen ich noch nicht gesprochen habe, kurz vorzustellen. Meist ergibt sich daraus ein lockerer Austausch – und schon kenne ich gut die Hälfte der Bewohner mit Namen. [1]

Spätdienst, inkl. Hilfe in der Pflege: An dem Wochentag, an dem ich morgens unterrichte, arbeite ich im Spätdienst, der erst um 15 Uhr beginnt (und um 22 Uhr endet). Zunächst Unterstützung in der Cafeteria, wo ich sogleich von zwei Damen an den Tisch gerufen werde: Sie finden, dass ich hinter der Theke einen dermassen kompetenten Eindruck mache, dass ich sicher für höhere Weihen bestimmt sei. Ob ich hier ein Praktikum mache? Zu welchem Zweck? [2] Und schon reden wir über den Hintergrund meiner Anwesenheit, die Freiwilligenarbeit der einen Seniorin und den beruflichen Werdegang der anderen. Noch spannender wird es nach der Betreuung der Pflegebedürftigen beim Abendessen: Als mich ein Pfleger nach dem Essen bittet, eine Dame im Rollstuhl in ihr Zimmer zu chauffieren, tue ich das gerne. Damit wäre meine Aufgabe an sich erfüllt. Aber wenn ich um Hilfe gebeten werde… Jedenfalls assistiere ich gleich noch ein wenig weiter: Ich helfe der Dame, wie von ihr gewünscht, auf die Toilette und setze sie anschliessend auf das “Böckli” des Rollators, wo sie sich in Ruhe die Zähne putzen kann – und auch die Brücke, die sie unvermittelt in der Hand hält. Helfe ihr in den Morgenmantel, nehme ihr Hörgerät entgegen und lege es auf den Nachttisch, begleite sie zu ihrem Ohrensessel, schalte das Fernsehgerät ein, reiche ihr Fernbedienung und Kopfhörer und mache mich, als sie es sich bequem gemacht hat, auf den Weg zurück ins Bad, um die beiden Zahnbürsten (eine für die zweiten, eine für die dritten Zähne) auszuspülen und zu guter Letzt das Licht zu löschen. Dabei plaudern wir die ganze Zeit. Als meine Arbeit getan ist, wünsche ich ihr einen schönen Abend, und sie, die bis dahin ein recht harter Brocken zu sein schien, verabschiedet mich beinahe überschwänglich. Zufrieden mit mir selbst und mit leicht geschwellter Brust mache ich mich auf den Weg zurück zur Pflegestation – und schäme mich gleichzeitig dafür: Was ich tat, ist ja nur eine Light-Version dessen, was eine Pflegerin, ein Pfleger tagtäglich x-fach leistet! Als die Schichtverantwortliche am Ende unseres Einsatzes die Übergabe an die Nachtwache macht, heisst es zu “meiner” Seniorin dann tatsächlich: “Nichts Besonderes zu vermelden”.

Kirchenbesuch: Unter der Woche finden zwar, wie im ersten Bericht geschrieben, ein Gottesdienst sowie eine Andacht im Altersheim statt – die Rüstigen unter den Bewohnerinnen und Bewohnern haben aber zusätzlich die Möglichkeit, sonntags den Fahrdienst in den regulären Gottesdienst der Kirchgemeinde in Anspruch zu nehmen. Dieses Mal, am Dank-, Buss- und Bettag, sind es mehr als üblich: Weil ich bei meinen Frühstücks-Gesprächen kurz auf das (fakultative) Tagesprogramm eingegangen bin, beschliessen zwei Personen spontan, sich dem “harten Kern” anzuschliessen. Deswegen muss der Chauffeur zweimal fahren – und ich lerne, wie man Rollatoren am Besten in den Kofferraum bekommt.. [3]

Weitere Gespräche: Durch eigene Beobachtung, vor allem aber durch Hinweise aufmerksamer Mitarbeiter werde ich immer wieder auf Seniorinnen und Senioren aufmerksam, die für ein persönlicheres Gespräch mit dem “angehenden Pfarrer” (oder mit irgendjemandem, der ich ja auch bin) empfänglich sein könnten. Schon nach kurzer Zeit hat sich hier eine schöne Zusammenarbeit zwischen der Pflegeabteilung und mir entwickelt: Wenn die Pfleger bei ihrer Arbeit feststellen, dass jemandem etwas auf dem Herzen liegt, bieten sie ihm bzw. ihr an, mich vorbeizuschicken. Besteht Interesse daran, werde ich, meistens während des Pflegerapports, teilweise auch beim Vorbeigehen, informiert. Ich lasse mich dann über die Art des Problems aufklären und versuche, etwas über den Hintergrund – Beruf, Interessen, Familie – der Betreffenden in Erfahrung zu bringen, damit ich einen guten Einstieg finde. Bisher haben sich immer sehr schöne und lebhafte Gespräche ergeben – und konnte ich die Menschen fröhlicher zurücklassen, als ich sie angetroffen habe. Gibt es etwas Schöneres? [4]

[1] Ich hätte nicht gedacht, dass mir dieses Ansprechen und Plaudern so leicht fällt. Ist aber überhaupt kein Problem – man muss es halt nur wollen! (Und so nette Gesprächspartner haben wie ich.)
[2] Die Argumentation der beiden hat mich überrascht: Sonst heisst es doch immer, Studenten und Akademiker hätten, wenn es ums Machen geht, zwei linke Hände!
[3] Eine Dame, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mitkommen kann, zieht sich immerhin besonders schick an: “Es ist ja ein Feiertag. Da soll man gut aussehen!” Beim Frühstückservice sichte ich auch zahlreiche Krawatten.
[4] Über die Nachhaltigkeit dieser Besuche lässt sich bestimmt streiten. Es wäre vermessen zu behaupten (oder zu fordern), dass sie eine bleibende Wirkung hinterlassen. Diesen Druck würde ich mir in meiner Praktikantenfunktion auch nicht auferlegen wollen. Wenn ein Mensch durch meine Anwesenheit wenigstens für eine kurze Zeit seine Sorgen und Nöte vergessen kann, habe ich mein Ziel erreicht.

Wasser allein reicht nicht

By , 13/09/2012 19:38

Natürlich ist es zu früh, nach gerade einmal zwei Tagen “im Altersheim” ein Zwischenfazit meines Diakonie-Einsatzes zu ziehen. Meine ersten Eindrücke möchte ich aber schon loswerden. Für einmal schreibe ich hier recht unstrukturiert – was die Flut an Eindrücken und meine Gedankenlage aber bestens abbildet.

Was ich bereits erlebt habe: Gedächtnistraining. Essensausgabe in der Pflegeabteilung. Gemeinsames Singen. Pflegerapport. Cafeteria. Gottesdienst. Freie Gespräche mit Seniorinnen und Senioren – und, zwischendurch, immer wieder auch mit Mitarbeitern.

Gedächtnistraining: Ein knappes Dutzend Bewohnerinnen und 1 Bewohner des Altersheims (und der Herr Praktikant, a.k.a. ich) malen in Gedanken ein Bild, Thema: “Im Park”, indem jede und jeder einer imaginären weissen Leinwand etwas hinzufügt, und stellen uns vor, welche Geräusche in der dargestellten Szene zu hören sein könnten. Und vieles mehr. Rührend, wie herzallerliebst mich der Teilnehmerkreis aufnimmt und involviert: ein junger Mann! Mit blauen Augen! Und dann wird er auch noch Pfarrer! Kein Wunder, geht die Stunde aus meiner Sicht viel zu schnell vorbei.

Essensausgabe in der Pflegeabteilung: Je kleiner der Aktionsradius der Pflegebedürftigen, desto wichtiger das Essen. Deshalb werden Spezialwünsche so gut wie möglich erfüllt. Dass dann beim Frühstück ein Bütterli zu hart “ist” oder beim Mittagessen ein Trinkglas zu voll oder zu wenig gefüllt, kann von manchen Betroffenen als fast existenzielles Problem beklagt werden. Aber die Pflegerinnen nehmen das dermassen cool… Und dann gibt es ja auch die Anderen, die Sonnenscheine!

Gemeinsames Singen: Wenn der üblicherweise gebuchte Raum nicht verfügbar ist, fällt das wöchentliche Singen natürlich nicht aus – sondern es findet im Eingangsbereich des Altersheims statt. Mehr als zwanzig Teilnehmer sind es an dem Nachmittag, an dem auch ich dabei bin. Ich verteile die Textblätter, unterstütze aber auch, so gut es geht, die beiden Herren in der Runde (der ehemalige Chorsänger, mit dem ich kurz vor unserem Einsatz ins Gespräch komme, singt mich allerdings an die Wand). Es berührt mich, in die Gesichter der älteren Dam- und Herrschaften zu schauen, die inbrünstig ihre alten Lieder singen: die “Capri-Fischer”, “Heidschi Bumbeidschi” und – “Freut Euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht; pflücket die Rose, eh’ sie verblüht!” Der Praktikant hat verstanden (und vor Rührung ein Tränli in den Augen).

Pflegerapport: Dreimal in diesen ersten zwei Tagen bin ich wie selbstverständlich dabei, wenn die Pflegerinnen und Pfleger ihre Dienste vor- und nachbesprechen. Eine ernste und zugleich fröhliche Runde. Es geht nicht lange, und ich, als angehender Pfarrer nicht nur geduldet, sondern respektiert, fasse den ersten Auftrag: Ich soll eine pflegebedürftige Dame ein wenig aufmuntern und auch ihre Lebensgeschichte und ihre Wünsche in Erfahrung bringen (was, als Teil der Gesamtbetrachtung, für die Betreuung wichtig ist); den Pflegerinnen gegenüber sei sie sehr verschlossen. Auch mit mir will sie allerdings, wie sich zeigen wird, nicht sprechen.

Cafeteria: Der richtige Ort zum Socializen, für Senioren, aber auch für mich. Mehr als etwa eine halbe Stunde konnte ich dort vorerst allerdings nicht Kaffee ausgeben – es gibt sooo viel Anderes zu tun!

Gottesdienst: Meine Praktikumsleiterin, Pfarrerin in “meiner” Herbergsgemeinde, leitet einen halbstündigen Gottesdienst im Erdgeschoss, an dem rund ein Dutzend Bewohnerinnen und Bewohner teilnimmt. Gleich anschliessend eine Kurzversion davon als Andacht in der Pflegeabteilung. Ich verteile Gesangbücher bzw. das Liedblatt – und bin beeindruckt davon, wie es der Pfarrerin gelingt, die kleine Gemeinde anzusprechen. Die Gratwanderung zwischen guter Verständlichkeit und Schlichtheit, zwischen theologischem Fundament und Theologisieren glückt. Mir steht sie noch bevor; ich sehe aber, dass ich hierzu die richtige Bergführerin habe.

Freie Gespräche: Nebst den geplanten Einsätzen in fast allen Bereichen des Altersheims habe ich immer wieder Zeit – mal eine Stunde zwischendurch, mal einen halben Tag am Stück –, mit den Bewohnern wie auch mit den Angestellten ins Gespräch zu kommen. Das ist es auch, was ich als eines meiner Hauptziele in dieser Zeit im Altersheim definiert habe; es lässt sich bestens umsetzen. Die Altersheimleitung wie auch die Pflegerinnen und Pfleger geben gerne Auskunft über ihre Arbeit, Motivationen, Abgrenzungsstrategien, und auch die Seniorinnen und Senioren sind mir zum ganz grossen Teil wohlgesinnt. Bereits habe ich die erste Intensivunterhaltung hinter mir: Am ersten Tag meines Einsatzes spreche ich eine Dame, die im Flur auf dem Hometrainer strampelt, etwas scherzhaft an (“Sie sind aber eine Tapfere!”), und schon sprechen wir eine halbe Stunde über sie und mich, das Leben, die Krankheit ihres verstorbenes Ehemannes, den Tod – und die Hoffnung, die immer bleibt. Ich, der Pfarrerlehrling, geniesse offensichtlich rasch ihr Vertrauen. Wissend, dass das Gespräch noch nicht zu Ende ist, aber bereits weiter verplant, biete ich ihr an, sie am darauffolgenden Tag zu besuchen – sie willigt freudig ein, ist dann aber doch ein wenig überrascht, als ich tatsächlich auftauche. Sie macht sich zu jenem Zeitpunkt gerade Gedanken zur Speisesaal-Fehde mit einer Tischnachbarin. Was sie denn tun solle? Wir überlegen uns verschiedene Szenarien, landen dann aber doch wieder bei den grossen Fragen. Und so wird das kein Seelsorgegespräch “aus dem Lehrbuch”, denn dafür dauerte es viel zu lang: drei Stunden! [1] Aber die Frau erzählt so viel und so gerührt und rührend aus ihrem Leben, dass ich sie gar nicht unterbrechen will. Und bei all den Erinnerungen an ihren über alles geliebten Mann und an die Mutter, die so gar nicht mütterlich gewesen sei (und der sie gerne am Himmelstor, so es ein solches gebe, die Meinung sagen würde) merkt sie, dass die kleine Altersheim-Fehde ganz und gar nichtig ist. “Kennen Sie die Redewendung, dass man nicht ins Bett gehen soll, bevor Zwist und Streit beigelegt sind?”, frage ich sie. [2] Da strahlt sie über das ganze Gesicht und meint, das habe ihr Mann auch immer gesagt. Sie will jetzt das Gespräch mit ihrer Tischnachbarin suchen. Auf dem Rückweg in die Pflegeabteilung, kurz vor dem Abendessen (und meinem Dienstschluss), sehe ich gerade noch den oben erwähnten “Chorsänger” im Treppenhaus, grüsse ihn mit Namen und wünsche ihm einen guten Appetit; er erwidert den Gruss fröhlich, kennt auch meinen Namen noch – wir verabreden uns auf Freitag oder Sonntag zu einem Gespräch. [3]

Heute hatte ich “frei”: Der Nebenjob in der Schule läuft während des kirchlichen Praktikums weiter. Morgen nachmittag aber beginnt ein weiterer Dienst – und ich freue mich. Sehr.

[1] Zuhause habe ich dann an meiner Professionalität gezweifelt: Ist es in Ordnung, in semi-offizieller Mission ein derart langes Gespräch zu führen? Vielleicht nicht. Anderseits bin ich auch nicht ein Pfleger, der nur kurz vorbeischauen kann und dann zur nächsten Person weitereilen muss, oder ein Pfarrer, der einen solchen Besuch möglicherweise zwischen eine Spurgruppen-Sitzung und einen Abend mit den Konfirmanden hineinzuquetschen hat – ich habe viel Zeit!
[2] Frei nach der Lebenshilfe in Eph 26,4: “Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn.”
[3] Ich bin dankbar, wenn ich meine Gesprächs- und Seelsorgekompetenzen im Zusammensein mit Menschen “ausprobieren” kann, die mir gerne die Tür öffnen. Und wer sagt denn, dass das einfach “leichte” Gespräche sind?

Das Wasser reichen

By , 11/09/2012 06:58

Nach der Einführungswoche im Süden steige ich heute in die Praktikums-Praxis ein. Das erste Modul deckt den Bereich der Diakonie ab. Oder – um meinen Philodendron ix-ypsilon-zett-ensis noch einmal für ein Bild zu bemühen:

Diakonie

Mir stehen drei Wochen in einem Altersheim meiner Praktikumsgemeinde bevor. Der Einsatzplan, von der Heimleitung für mich liebevoll zusammengestellt, ist so abwechslungsreich wie nur möglich. Ich bin nun gespannt auf die Umsetzung und die Erfahrungen, die mich dabei erwarten – und werde, wenn es sich ergibt und die Vertraulichkeit gewährleistet ist, selbstverständlich ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern.

Praxis à discrétion

By , 03/09/2012 06:08

Lange habe ich davon gesprochen, jetzt ist es soweit:

Reto klein
geht allein
in die Praxiswelt hinein…

Wobei – ganz allein werde ich nicht sein: Ich bin nach den Vorgesprächen mit meiner Praktikumsleiterin, dem Pfarrteam, dem Kirchenpflegepräsidenten, einer Mitarbeiterin überzeugt, dass ich in “meiner” Gemeinde ganz gut aufgehoben sein werde. [1]

Mein Praxissemester ist verkürzt: Von den Modulen “Wirtschaft” und “Schule” bin ich wegen entsprechender Berufserfahrung dispensiert. Deshalb beginne ich zwar, wie meine Kollegen-slash-innen, in der “Diakonie” (bei mir: drei Septemberwochen in einem Altersheim), mache dann aber zwei Monate Praktikums-Pause. In den Monaten Dezember und Januar bin ich dann in der “eigentlichen” Kirchgemeinde unterwegs.

Auf die neuen Eindrücke bin ich sehr gespannt. In der Mitte des Studiums und nach ein paar Jahren in der Kirchenpflege der Wohngemeinde die Fühler einmal in andere Richtungen, in eine andere Kirchgemeinde ausstrecken – oder, um ein anderes Bild zu verwenden – …

Umtopfen

…dem zu klein werdenden Topf zu entfliehen und die Wurzeln in frische Erde graben zu können, wird mir guttun. Ich will ja noch wachsen!

Und so steht, kurz vor der Abreise in die Praktikanten-Startwoche im Tessin, der Koffer nun bereit. [2] Für einmal ist er aber nicht mit Büchern gefüllt, sondern nur mit Kleidern und wenigen Unterlagen – und ein paar Erwartungen, an diese Zeit und an mich, sind auch dabei.

Ich freue mich!

Hinweis für alle, mit denen ich im Praxissemester zu tun haben darf (auch wenn es selbstverständlich ist): Es muss sich niemand, sei es in der Kirchgemeinde, im Altersheim, unter den Mitpraktikanten, sorgen, dass ich in diesem Blog Vertrauliches ausplaudere oder sonstwie Heikles schreiben könnte. Natürlich lässt sich das Praxissemester in meinen Texten nicht aussparen – ich werde aber in einem allgemeinen Sinne von meinen Erfahrungen schreiben (wie ich dies z.B. auch als Kirchenpfleger tue). Und im Zweifelsfall bitte ich die betreffenden Personen um ihr Einverständnis. Ich will doch die Erde, in die ich meine Wurzeln schlagen darf, nicht übersäuern!

[1] “Meine Gemeinde” deshalb, weil ich, wie vorgesehen, meine Praktika in ein und derselben Gastgeber-Gemeinde absolviere.
[2] Für mich wird das eine Rückkehr: Ich verbrachte mit meiner Gymi-Klasse (lange ist es her!) nämlich schon die sogenannte “Wirtschafts-Woche” in Magliaso. Darüber würde ich aber nicht öffentlich berichten…

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