Posts tagged: Chileblick

Auf dem hohen Ross

By , 29/05/2012 07:04

Die Kirche und die Privatwirtschaft: eine Geschichte voller Vorurteile – meiner Erfahrung nach allzu oft auch von kirchlicher Seite ausgehend. Auf wohlfeile Generalabrechnungen mit “der Wirtschaft” aus dem doch eher geschützten Bereich von Kirchgemeinde und Theologischer Fakultät reagiere ich allergisch.

Manchmal habe ich den Eindruck, ich sei weit und breit der Einzige, dem dies so geht. Dass es dann aber doch nicht so schlimm ist, zeigt ein Interview mit der Unternehmensberaterin Eva Häuselmann, das in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung “Reformierte Presse” (Nr. 21, 25.5.2012) veröffentlicht wurde:

“Theologen sind für Wirtschaftsfragen nicht ausgebildet. Was darf man von ihnen erwarten?

Häuselmann: Vor allem, dass sie ihre fehlende Hörbereitschaft und die Vorurteile aufgeben. Es wäre wichtig, dass sie das Unternehmertum einmal mit anderen Augen sehen. An der Universität wird darauf nicht viel Wert gelegt. Und wenn, dann wird nur theoretisch über Wirtschaft geredet. Und wenn Theologiestudenten ihr kurzes ‘Wirtschaftspraktikum’ dann zum Beispiel bei einem Friedhofsgärtner machen, frage ich mich schon, ob das Praktikum diesen Namen überhaupt verdient.”

(Erschienen in: “Reformierte Presse”, Nr. 21, 25.5.2012, S. 5; Autor: Herbert Pachmann)

Dies zu lesen, tat gut – und bedeutete für mich ein kleines, grosses Déjà-vu, hatte ich doch für die Bubiker Gemeindebeilage von “reformiert”, den “Chileblick”, vom September 2010 in einem ansonsten positiven Artikel zu Theologiestudium und praktischer Ausbildung ganz Ähnliches geschrieben:

“Eine andere Kollegin hat für den Bereich ‘Wirtschaft’ zwei Wochen lang Pferdeställe ausgemistet… Das ist zwar eine ehrenwerte Arbeit – dem Ziel, künftige Steuergeldempfänger einem privatwirtschaftlichen Umfeld auszusetzen, aber gewiss nicht förderlich. Hier wird sich meiner Meinung nach einiges ändern müssen.”

Immerhin, das Gute zum Schluss: Nach der Einführung ins kirchliche Praxissemester, das ich im Herbst antreten werde, habe ich den ehrlichen Eindruck, es habe sich schon etwas geändert, die Ansprüche seien inzwischen etwas andere. Sollte dem so sein, kann sich die Investition des Praktikums-Halbjahres tatsächlich auszahlen – letztlich, so hoffe ich, für alle Seiten.

Bloke on the Water

By , 16/04/2012 06:47

In den Kommentaren zu einem der letzten Beiträge, “In dubio – pro reto?”, hat sich eine engagierte und interessante Diskussion zum Thema Pfarrbild entsponnen (hier nachzulesen). Es sollen sogar Telefondrähte geglüht haben deswegen…

Natürlich: Die Frage nach dem “richtigen” Verständnis des Pfarr- bzw. Bischofsamts ist so alt wie das Amt selbst. Neu ist solcherlei Nachdenken also gewiss nicht. Weil es hier und jetzt aber konkret Sie und Sie und Sie und mich betrifft, ist es eben doch lohnenswert, wenn nicht unabdingbar, sich immer wieder Gedanken zum eigenen Amtsverständnis zu machen. Und diese sind dann eben doch neu – für uns und die Zeit, in der wir leben.

Für die Bubiker Gemeindebeilage des “reformiert”, den “Chileblick”, schrieb ich im Mai 2011 eine kleine Kolumne, die sich mit ebensolchen Ansprüchen an Pfarramts-Inhaberinnen und -Inhaber beschäftigt. Als Präsident der Pfarrwahlkommission war es mir ein Anliegen, der Kirchgemeinde, die mir diese ehrenvolle Aufgabe anvertraut hatte, zu signalisieren, dass, egal, wen wir letztlich vorschlügen, im Pfarramt auch in Zukunft mit Wasser gekocht würde. [1]

A propos “Wasser” – hier der Text, den ich aus aktuellem Anlass noch einmal hervorkramte:

Ohne Tadel soll er sein, besonnen und gastfreundlich. Weder ein Säufer noch ein Schläger, weder parteiisch noch streitsüchtig noch geldgierig. Ach ja, und seine Familie sollte er fest im Griff haben – der ideale Bischof, wie der Apostel Paulus ihn sich in den Anfangszeiten des Christentums ausmalt (in 1 Tim 3).

Heute und hier, im Bubikon des Frühlings 2011, müssen nun auch wir Rechenschaft ablegen über unsere Vorstellungen vom Wunschpfarrer: ganz konkret, auf unsere Gemeinde bezogen. Die Pfarrwahlkommission befasst sich in diesen Monaten genau damit, und auch Sie mögen bisweilen darüber nachdenken.

Paulus liefert dazu einige Anhaltspunkte, die sich bestens auf das Pfarramt von heute übertragen lassen. Einerseits. Anderseits: Mit seinem „Stellenbeschrieb“ stehen wir erst am Anfang der Diskussion – denn wie weit muss Gastfreundlichkeit gehen? Kann als Verkündigerin gewinnend sein, wer nicht parteiisch ist? Was machen wir mit einem Bewerber, der gar keine Familie hat, die er im Griff haben könnte? Und: Welche Bubikon-spezifischen Vorgaben, die Paulus nicht nennt, sind zusätzlich zu erfüllen?

Ich bin sehr dafür, dass wir an einen Pfarrer, eine Pfarrerin hohe fachliche und menschliche Ansprüche stellen – möchte aber anregen, dass wir uns nicht scheuen davor, diese Ansprüche immer wieder in Frage zu stellen. Gestatten wir einem Bewerber doch, nicht alle gewünschten Qualitäten gleichermassen mitzubringen! Akzeptieren wir zudem, dass auch ein in Bubikon bis anhin unbekannter Weg zum Ziel führen kann! Nicht dass ein neuer Amtsinhaber schon nach kurzer Zeit seufzen muss: „Wenn ich übers Wasser laufe, sagen meine Kritiker: Nicht mal schwimmen kann er.“

Das abschliessende Zitat wird übrigens Berti Vogts zugeschrieben – bei ihm, dem “Terrier”, hat es, bei aller Kritik an seinem Fussballverständnis, immerhin für einen Welt- und zwei Europameister-Titel gereicht. Dass die Schauspielerei nicht seins ist, mag man ihm da gerne verzeihen.

Und wieviel – und was – verzeihen wir einem Pfarrer, einer Pfarrerin? Und wo bleiben wir unnachgiebig, ja: wo müssen wir unnachgiebig bleiben? [2]

[1] Ich unterstelle dem neu gewählten Herrn Pfarrer, der gestern feierlich ins Amt eingesetzt wurde, jetzt einfach einmal, dass dies zutrifft. Sonst möge er das Gegenteil beweisen.
[2] Für den eher schlecht geratenen Scherz im Titel bitte ich um Verständnis. Er kam mir in den Sinn, als ich letzte Woche nach meiner ersten Gitarrenlektion überhaupt das Riff zu “Smoke on the Water” übte.

Für Andi – es ist schön, dass wir Dich haben!

Abstimmungspflicht, kirchlich

By , 06/01/2012 15:16

Wer reformiert ist und seinen Briefkasten hin und wieder leert, weiss, dass er allzweiwöchentlich die Kirchenzeitung “reformiert” erhält – jedes zweite Mal, also monatlich, ergänzt durch eine lokal verantwortete Gemeindebeilage. Diese heisst bei uns in Bubikon “Chileblick”. Zum festen Bestandteil dieser unserer Gemeindebeilage nun gehört eine frontseitige Kolumne: Monat für Monat erhält ein Mitglied von Kirchenpflege oder Pfarrteam eine Carte Blanche hierfür. Einzige Vorgabe: Der Text sollte eine Länge von 1600 Zeichen nicht überschreiten. [1]

Manchmal geht der Kelch auch an mir nicht vorbei. Der Kolumnentext, den ich für den “Chileblick” vom September 2010 verfasst hatte, kam mir am vergangenen Wochenende in den Sinn, als ich meine Gitarre mit einer neuen Saite bespannen musste – zum ersten Mal überhaupt (nach anderthalb Jahren!), denn ich hatte ebendiese Gitarre mit dem Ziel gekauft, mir das Spiel selbst beizubringen. “Im Selbststudium” heisst das, und bedeuten tut es, wenigstens in meinem Fall, dass ich bisher “einfach nicht so recht die Zeit gefunden habe”, etwas zu lernen. Aber das soll hier nicht das Thema sein… [2]

Hier nun also der Text:

Manchmal denke ich, dass ich ein unverbesserlicher Schöngeist bin, ein Freak – und finde Trost darin, dass Sie meine Gedanken nicht lesen können. Sie wüssten sonst, dass ich Schweinekoteletts ins Regal zurücklege, wenn sie mit „Schweinekoteletten“ angeschrieben sind (Koteletten, liebe Metzger, sind Backenbärte!), und dass ich jede Beiz einladender fände, würden wir sie mit dem schönen Gaststätten-Synonym Dorfkrug bezeichnen. Ach ja, und ich liebe Moosseedorf für seine drei Buchstabendopplungen!

Anderseits ist mir natürlich klar, dass Sprache zunächst ein Instrument zum Gedankenaustausch ist – ein Instrument allerdings, das, um beim Bild zu bleiben, gestimmt werden will. Bei meiner Gitarre habe ich hierfür zwei Möglichkeiten: Ich kann mich damit begnügen, die Saiten aufeinander abzustimmen (damit die Akkorde in sich stimmig sind), oder sie an einem „ausserhalb“ gespielten Referenzton ausrichten. Wer in einer Gruppe musizieren möchte, wählt die zweite Variante und orientiert sich an den anderen Instrumenten. So verhält es sich auch mit Worten: Ein echter Austausch ist nur möglich, wenn die Sprache des Einen auch die Sprache des Anderen ist.

Was das mit uns mehr oder weniger gläubigen, vielleicht auch zweifelnden Christen zu tun hat? Nun: Wir können uns grämen, weil unsere eigene Sprache, die in sich stimmig sein mag, nicht mehr kultureller Mainstream ist – oder wir nehmen die Herausforderung an und übertragen und „überleben“ unsere grossen, aber weitherum unverständlich gewordenen Wörter und Vorstellungen (Sünde! Gnade! Vergebung!) in eine Sprache, die auch von Menschen verstanden wird, denen das Alphabet des Glaubens fremd ist.

Dies halte ich, heute mehr denn je, für die grösste Herausforderung der Kirchen (und damit von uns allen): sich in einer Sprache auszudrücken, die tatsächlich auch verstanden wird, theologische Konzepte aus dem schönen, warmen Zirkel der Insider ins Leben zu transportieren – und doch, soviel Ehrfurcht vor dem bisher zurückgelegten Weg muss sein, die eigene Geschichte nicht zu verraten. Ein schmaler Grat, klar. Aber was ist denn die Alternative? [3]

[1] Und im weitesten Sinne sollte es um Theologisches oder Kirchliches gehen. Das versteht sich aber von selbst.
[2] Für die Interessierten: Ich nehme demnächst Gitarrestunden. Gutes Weihnachtsgeschenk, das!
[3] Bevor nun eingewandt wird, eigentlich sei es doch an der “widerspenstigen Öffentlichkeit”, verbrannten Wörtern und Worten unbefangen zu begegnen: Nein, ist es nicht. Kommunikation, die diesen Namen verdient, setzt einen Sender voraus, der sein Publikum ernstnimmt und sich an ihm orientiert. Weshalb soll das ausgerechnet bei den Kirchen, deren erster Auftrag ja gerade die Kommunikation ist, jene des Evangeliums nämlich (Art. 29 Abs. 1 KO), anders sein? Also: Das Wohlwollen vieler ist, manchmal zu meinem eigenen Erstaunen, da – jetzt sind wir dran! Wäre ja gelacht…

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