Hält euch kein Dunkel mehr
Advent – Weihnachten steht vor der Tür, hinter der Dunkelheit erwartet uns ein, das Licht. Kaum irgendwo ist dieses Bild schöner und tröstlicher gemalt als in diesen acht Zeilen:
Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern.
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.
(Aus: “Weihnachtslied”, Text: Jochen Klepper, Erstveröffentlichung in dem Gedichtband “Kyrie. Geistliche Lieder”, 1938) [1]
Der genialische Autor, Dichter, Schriftsteller Jochen Klepper, sensibler Drechsler obiger Verse, geboren 1903, Sohn eines evangelischen Pfarrers, verheiratet mit der um einige Jahre älteren Johanna Stein: Mutter zweier Töchter aus erster Ehe – Jüdin; deswegen ab der Machtübernahme der Nationalsozialisten immer mehr in der Ausübung seines eigentlichen Berufs als Journalist eingeschränkt und schliesslich notgedrungen als “freier” Schriftsteller tätig, bisweilen fiebrig-schnell arbeitend, verwerfend, neu beginnend; noch im Jahre 1940 zum Wehrdienst eingerückt, um seine Ehefrau und deren jüngere Tochter Renate (die ältere, Brigitte, lebte im sicheren Ausland) vor der drohenden Deportation zu schützen, doch schon bald wieder entlassen, da er nicht in die von den Behörden erwartete Scheidung einwilligt – in der Furcht vor einer Zwangsscheidung und dem damit vorgezeichnet scheinenden Weg beider Frauen ins Konzentrationslager nimmt er sich in und mit seiner kleinen Familie in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 das Leben.
Heute vor siebzig Jahren.
Den “hellen Morgenstern”, den er im oben zitierten, fast genau fünf Jahre zuvor verfassten “Weihnachtslied” besingt, scheint Klepper bei aller irdischen Verzweiflung bis zum Ende vor und über sich leuchten gesehen zu haben. Sein letzter Tagebucheintrag endet mit den Worten: “Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.”
Persönlicher Hinweis:
Ich selbst bin nur per Zufall und ausserhalb von Studium und Kirchgemeindearbeit auf Jochen Klepper und sein Werk gestossen. Wäre dieser runde Jahrestag, liebe mitlesende Pfarrerinnen und Pfarrer, nicht vielleicht ein guter Anlass, demnächst eines seiner Lied-Gedichte ins Zentrum eines Gottesdienstes zu stellen? Muss ja nicht zwingend noch im Advent sein – Klepper hat zu fast allen Feiertagen und Anlässen geschrieben…
Literaturempfehlung:
a. Gesangbuch der evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz [2]
b. Klepper, Jochen: Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932-1942, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1956 (mehr hier).
c. Baum, Markus: Jochen Klepper, Schwarzenfeld: Neufeld Verlag, 2011 (mehr hier).
[1] Der Titel dieses Blog-Eintrags entstammt demselben Gedicht – der ebenso schönen (und wunderbar unverträumt startenden) vierten Strophe, die da lautet: “Noch manche Nacht wird fallen / auf Menschenleid und -schuld. / Doch wandert nun mit allen / der Stern der Gotteshuld. / Beglänzt von seinem Lichte, / hält euch kein Dunkel mehr. / Von Gottes Angesichte / kam euch die Rettung her.”
[2] Nicht weniger als elf Gedichte Kleppers haben Eingang in das Reformierte Kirchengesangbuch gefunden: “Tauflied” (“Gott Vater, du hast deinen Namen”, 179), “Weihnachtslied” (“Die Nacht ist vorgedrungen”, 372), “Weihnachts-Kyrie” (“Du Kind, zu dieser heilgen Zeit”, 415), “Neujahrslied” (“Der du die Zeit in Händen hat”, 554), “Morgenlied” (“Er weckt mich alle Morgen”, 574), “Mittagslied” (“Der Tag ist seiner Höhe nah”, 584), “Abendlied” (“Ich liege, Herr, in deiner Hut”, 622), “Geburtstagslied” (“Gott wohnt in einem Licht”, 696), “Hochzeitslied” (“Freuet euch im Herren allewege”, 738), “Silvesterlied” (“Ja, ich will euch tragen”, 746) und “Trostlied am Totensonntag” (“Nun sich das Herz von allem löste”, 777).
Danke! Hier ist ein anderer und doch ähnlicher Einstieg zu Jochen Klepper (hab ich mal in einem Wort zum Tag geschrieben):
Die Hoffnung und die Gewissheit darauf, dass Gott helfen wird, trägt den Psalm 70. Und sie trägt ein Christenleben. Wie sonst könnte man ertragen zu hören und zu sehen, was an Leid in der Welt geschieht? Wie sonst könnte man sich wehren gegen die Gleichgültigkeit und die Resignation und sich einsetzen im Kleinen und im Grossen? Wie sonst könnte man trotzdem singen, lachen, lieben?
Wie sonst, wenn wir nicht trotz allem daran festhalten könnten, manchmal nur noch mit letzter Kraft, dass Gott derjenige ist, der kommt? Und wenn es so schlimm wird, dass es diese letzte Kraft übersteigt, dass jemand nicht mehr daran festhalten kann?
Dann hält diesen ein anderer fest. Und er macht es so, wie es Jochen Klepper, der 1942 in der Auswegslosigkeit des Dritten Reichs mit der Familie Selbstmord beging, in einem Kirchenlied dichtet, „Ja, ich will euch tragen, wie ich immer trug.“
LG
Christina