Schein als Sein
Im Wohnquartier meiner Kindheit ist vor etwa vier Jahren ein Paar in eines der alten Einfamilienwürfelchen eingezogen. Ob die beiden Neuen wollten oder nicht: Für zwei, drei alteingesessene Nachbarsfamilien stand fest, dass die grosse Tanne in ihrem Garten, schön exponiert an der Strasse gelegen, auch fortan, unter den neuen Besitzern, alljährlich mit elektrischen Kerzen für die Adventszeit gepimpt werden sollte.
Und so legten sämtliche Interessierten, selbstverständlich in Absprache mit den Neuen (welche für all die Alteingesessenen wahrscheinlich noch Jahrzehnte lang “die Neuen” sein werden), Geld zusammen für die Kerzen und mieten auch gemeinsam das Liftfahrzeug, welches für das Schmücken bzw. Entschmücken des Baumes mittlerweile notwendig ist. Endnovember für Endnovember wird seither in nachbarschaftlicher Gemeinschaftsarbeit die Tanne bekerzt.
Von diesem Happening, an dem auch meine Eltern beteiligt sind und das mit einem gemeinsamen Wienerli-Essen endet, hatte ich schon viel gehört, gestern nun war ich dabei. Schon eindrücklich: gut zehn Meter Baum, sechzehn Lichterketten à zwanzig Lämpchen, vier Stunden Arbeit (zwei Männer im Liftkorb, zwei unten, die Frauen schnatternd daneben) – und der Baum, der schon immer dort gestanden hatte, “stand”.
Dabei hatte ich, “unten”, zur Bereitstellung der Ketten für die Dekorateure, eingeteilt, ein schönes Déjà-vu: Liess der Nachbarsjunge früher an einem Stück Schnur alte Spielzeugautos und dergleichen aus seinem im ersten Stock gelegenen Kinderzimmer herunter (als Geschenk für uns Kleineren), so nahm ich von ihm, der vor einigen Jahren als Familienvater in sein ehemaliges Elternhaus zurückgekehrt ist und als Schmückender oben im Lift stand, jetzt die herunterbaumelnden Netzstecker-Enden all der Ketten entgegen, die er zuvor, Kerze für Kerze, an die Äste angeknipst hatte.
Der Baum ist also geschmückt, der Sentimentalitätsmodus eingeschaltet – meinetwegen kann der Advent in seiner immer wieder einmal auch säkularen Besinnlichkeit adveniren!