Nichts Besonderes

By , 18/09/2012 19:24

Seit meinem ersten Erfahrungsbericht aus dem Altersheim sind bereits drei Einsatztage vergangen. Zeit für eine Fortsetzung, finde ich.

Ich wurde und werde weiterhin sehr vielseitig eingesetzt: Mithilfe beim Frühstücks- und Mittagessenservice. Spätdienst. Kirchenbesuch. Weitere freie Gespräche mit Seniorinnen und Senioren. (Und Anderes.)

Mithilfe beim Frühstücks- und Mittagessenservice: War ich zu Beginn, was die Essensausgabe anbelangt, in der Pflegeabteilung tätig, bekomme ich nun einen Einblick in den Mikrokosmos eines regulären Altersheim-Speisesaals. Aber was heisst schon “regulär”? Da gibt es vieles zu beachten: Verschiedenfarbige Clips an den Tischsets zeigen an, wer Diabetiker oder Schonkost-Esser ist, und mit kleinen Plastiktäfelchen auf dem Tisch können die Dam- und Herrschaften täglich neu signalisieren, ob sie vegetarisch essen möchten und/oder zusätzlich einen Salat wünschen. Da bin ich (auch wegen mangelnder Balancierfähigkeit) dankbar, dass die Hauptspeise von den Profis serviert wird und ich mich nach dem Decken der Tische bei der Schöpfstation aufhalten kann! Dort dekoriert der Praktikant die Speisen mit Gemüsewürfelchen oder einem Tomatenschnitz und führt auch die Schöpf-Endkontrolle durch: Saucenflecke am Tellerrand und dergleichen sind ein No-Go und werden mit einem Tupfer abgewischt – denn auch im Alter isst das Auge mit! Zweimal helfe ich beim Schöpfen des Mittagessens, und beide Male wird mir die Ehre einer schönen Zusatzaufgabe zuteil: Ich darf das Dessert servieren – und mache mich damit sehr beliebt bei den Pensionären. – Der Frühstücksdienst ist weniger aufwendig, und so nutze ich die freie Zeit, die es dort immer wieder gibt, um von Tisch zu Tisch zu gehen, wie ein Beizer durch sein Stübli, und mich den Bewohnerinnen und Bewohnern, mit denen ich noch nicht gesprochen habe, kurz vorzustellen. Meist ergibt sich daraus ein lockerer Austausch – und schon kenne ich gut die Hälfte der Bewohner mit Namen. [1]

Spätdienst, inkl. Hilfe in der Pflege: An dem Wochentag, an dem ich morgens unterrichte, arbeite ich im Spätdienst, der erst um 15 Uhr beginnt (und um 22 Uhr endet). Zunächst Unterstützung in der Cafeteria, wo ich sogleich von zwei Damen an den Tisch gerufen werde: Sie finden, dass ich hinter der Theke einen dermassen kompetenten Eindruck mache, dass ich sicher für höhere Weihen bestimmt sei. Ob ich hier ein Praktikum mache? Zu welchem Zweck? [2] Und schon reden wir über den Hintergrund meiner Anwesenheit, die Freiwilligenarbeit der einen Seniorin und den beruflichen Werdegang der anderen. Noch spannender wird es nach der Betreuung der Pflegebedürftigen beim Abendessen: Als mich ein Pfleger nach dem Essen bittet, eine Dame im Rollstuhl in ihr Zimmer zu chauffieren, tue ich das gerne. Damit wäre meine Aufgabe an sich erfüllt. Aber wenn ich um Hilfe gebeten werde… Jedenfalls assistiere ich gleich noch ein wenig weiter: Ich helfe der Dame, wie von ihr gewünscht, auf die Toilette und setze sie anschliessend auf das “Böckli” des Rollators, wo sie sich in Ruhe die Zähne putzen kann – und auch die Brücke, die sie unvermittelt in der Hand hält. Helfe ihr in den Morgenmantel, nehme ihr Hörgerät entgegen und lege es auf den Nachttisch, begleite sie zu ihrem Ohrensessel, schalte das Fernsehgerät ein, reiche ihr Fernbedienung und Kopfhörer und mache mich, als sie es sich bequem gemacht hat, auf den Weg zurück ins Bad, um die beiden Zahnbürsten (eine für die zweiten, eine für die dritten Zähne) auszuspülen und zu guter Letzt das Licht zu löschen. Dabei plaudern wir die ganze Zeit. Als meine Arbeit getan ist, wünsche ich ihr einen schönen Abend, und sie, die bis dahin ein recht harter Brocken zu sein schien, verabschiedet mich beinahe überschwänglich. Zufrieden mit mir selbst und mit leicht geschwellter Brust mache ich mich auf den Weg zurück zur Pflegestation – und schäme mich gleichzeitig dafür: Was ich tat, ist ja nur eine Light-Version dessen, was eine Pflegerin, ein Pfleger tagtäglich x-fach leistet! Als die Schichtverantwortliche am Ende unseres Einsatzes die Übergabe an die Nachtwache macht, heisst es zu “meiner” Seniorin dann tatsächlich: “Nichts Besonderes zu vermelden”.

Kirchenbesuch: Unter der Woche finden zwar, wie im ersten Bericht geschrieben, ein Gottesdienst sowie eine Andacht im Altersheim statt – die Rüstigen unter den Bewohnerinnen und Bewohnern haben aber zusätzlich die Möglichkeit, sonntags den Fahrdienst in den regulären Gottesdienst der Kirchgemeinde in Anspruch zu nehmen. Dieses Mal, am Dank-, Buss- und Bettag, sind es mehr als üblich: Weil ich bei meinen Frühstücks-Gesprächen kurz auf das (fakultative) Tagesprogramm eingegangen bin, beschliessen zwei Personen spontan, sich dem “harten Kern” anzuschliessen. Deswegen muss der Chauffeur zweimal fahren – und ich lerne, wie man Rollatoren am Besten in den Kofferraum bekommt.. [3]

Weitere Gespräche: Durch eigene Beobachtung, vor allem aber durch Hinweise aufmerksamer Mitarbeiter werde ich immer wieder auf Seniorinnen und Senioren aufmerksam, die für ein persönlicheres Gespräch mit dem “angehenden Pfarrer” (oder mit irgendjemandem, der ich ja auch bin) empfänglich sein könnten. Schon nach kurzer Zeit hat sich hier eine schöne Zusammenarbeit zwischen der Pflegeabteilung und mir entwickelt: Wenn die Pfleger bei ihrer Arbeit feststellen, dass jemandem etwas auf dem Herzen liegt, bieten sie ihm bzw. ihr an, mich vorbeizuschicken. Besteht Interesse daran, werde ich, meistens während des Pflegerapports, teilweise auch beim Vorbeigehen, informiert. Ich lasse mich dann über die Art des Problems aufklären und versuche, etwas über den Hintergrund – Beruf, Interessen, Familie – der Betreffenden in Erfahrung zu bringen, damit ich einen guten Einstieg finde. Bisher haben sich immer sehr schöne und lebhafte Gespräche ergeben – und konnte ich die Menschen fröhlicher zurücklassen, als ich sie angetroffen habe. Gibt es etwas Schöneres? [4]

[1] Ich hätte nicht gedacht, dass mir dieses Ansprechen und Plaudern so leicht fällt. Ist aber überhaupt kein Problem – man muss es halt nur wollen! (Und so nette Gesprächspartner haben wie ich.)
[2] Die Argumentation der beiden hat mich überrascht: Sonst heisst es doch immer, Studenten und Akademiker hätten, wenn es ums Machen geht, zwei linke Hände!
[3] Eine Dame, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mitkommen kann, zieht sich immerhin besonders schick an: “Es ist ja ein Feiertag. Da soll man gut aussehen!” Beim Frühstückservice sichte ich auch zahlreiche Krawatten.
[4] Über die Nachhaltigkeit dieser Besuche lässt sich bestimmt streiten. Es wäre vermessen zu behaupten (oder zu fordern), dass sie eine bleibende Wirkung hinterlassen. Diesen Druck würde ich mir in meiner Praktikantenfunktion auch nicht auferlegen wollen. Wenn ein Mensch durch meine Anwesenheit wenigstens für eine kurze Zeit seine Sorgen und Nöte vergessen kann, habe ich mein Ziel erreicht.

3 Responses to “Nichts Besonderes”

  1. Christina Aus der Au says:

    Lieber Reto,

    komme grad von drei Wochen Südafrika zurück und lese “meine” Blogs nach. Und bin gerührt und bewegt von Deinen Berichten! Ein solches Seelsorge-Praktikum im Altersheim gehört auch zu “community building” – nicht weniger als die Projekte, von denen wir in SA so beeindruckt waren.
    Die Nachhaltigkeit muss sich dort und da erst erweisen (und kann letztlich sowieso nicht von uns hergestellt werden). Ich wünsche Dir weiterhin viel Lust und Freude an den Begegnungen. Und – im eigenen Interesse – trotzdem noch Zeit genug, weiterhin ausführliche Blogs zu schreiben!

    Herzlichst
    Christina

    • Reto Studer says:

      Liebe Christina

      Deine Rückmeldung freut mich. Momentan fällt es mir tatsächlich nicht leicht, die Zeit zum Schreiben zu finden – das Praktikum fordert mich nicht nur geistig, sondern auch zeitlich recht stark. Aber wenn ich mir abends oder an einem freien Tag sowieso einige Gedanken zum Erlebten mache, kann ich sie ja auch gleich aufschreiben!

      Das Südafrika-Seminar hätte mich auch gereizt. Vielleicht – hoffentlich! – kann ich ja ein anderes Mal dabei sein?

      Herzliche Grüsse,
      Reto

      • Christina Aus der Au says:

        @ Südafrika-Seminar: Wir machen’s wieder! Und I’ll keep you posted`:-)

        LG Christina

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