Von den Regeln in der Taufe
Nachdem ich in einem früheren Eintrag auf die “i.d.R.-Passagen” der Zürcher Kirchenordnung hingewiesen habe, nun, daran anschliessend, ein paar Gedanken zu den rechtlichen Vorgaben in einem ganz bestimmten dieser unbestimmten Bereiche: der Taufe.
Die Kirchenmitgliedschaft setzt die Taufe nicht voraus – wenigstens prinzipiell; in der Regel ist dies aber der Fall (Art. 25 Abs. 3 KO). Und stattfinden tut die Taufe, ebenfalls in der Regel, in einem Gemeindegottesdienst (Art. 46 Abs. 1 KO). Diese Gummi-Vorgaben habe ich schon im oben verlinkten Text kommentiert.
Besonders irritierend sind für mich allerdings einige Bestimmungen hinsichtlich “Eltern und Paten” (so die Überschrift und der Regelungsbereich von Art. 47 KO). Da steht:
Art. 47 Abs. 1: Die Eltern versprechen, ihr Kind im evangelischen Glauben zu erziehen.
Art. 47 Abs. 2: Die Paten sind Vertrauenspersonen des Kindes. Sie begleiten Eltern und Kind in Fragen des evangelischen Glaubens.
Mit diesen beiden Absätzen bin ich voll und ganz einverstanden – kein Einspruch meinerseits. Noch nicht.
Aber was sind nun die “formellen” Voraussetzungen dieser Kompetenzen bzw. Pflichten? Hier:
Art. 47 Abs. 3: Mindestens ein Elternteil gehört einer evangelischen Kirche an. Mindestens eine Patin oder ein Pate ist mündiges Mitglied einer christlichen Kirche. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, so kann die Taufe in seelsorglich begründeten Ausnahmefällen dennoch vollzogen werden.
Als (Noch-)Nicht-Praktiker erlaube ich mir an dieser Stelle, über diese laxen Regelungen zu staunen. Halten wir fest:
1. Die Eltern müssen, um beim Positiven zu beginnen, nicht beide reformiert sein. Das ist sicher vernünftig, liesse sich eine derart strikte Regelung doch auch gar nicht durchsetzen, angesichts der zunehmenden Zahl gemischtkonfessioneller und interreligiöser Partnerschaften. Soweit, so gut. Was aber wird vorausgesetzt? Mutter oder Vater evangelisch – reicht. Tatsächlich: Kein Elternteil muss der reformierten Kirche angehören.
2. Die Paten müssen auch nicht beide reformiert sein. Genauer: Kein Pate, weder Nummer 1 noch Nummer 2, muss reformiert sein. Wenigstens evangelisch? Nicht einmal das. Verlangt wird lediglich, dass wenigstens ein Pate einer christlichen Kirche angehört.
Mutter Lutheranerin, Vater ausgetretener Reformierter, Patin Agnostikerin, Pate Katholik, nur der Täufling im “Club” – so etwas wäre wahrscheinlich nur bei uns Zürcher Reformierten möglich. [1][2]
[1] Andere Regelungen finden sich u.a. in Bern/Jura/Solothurn: mind. ein Elternteil reformiert, mind. ein Pate reformiert, Ausnahmen möglich (Art. 37 der KO von BeJuSo) – und im Aargau: mind. ein Elternteil reformiert, beide Paten christlich, Ausnahmen möglich (§ 25 der Aargauer KO).
[2] Ein paar zusätzliche Gedanken dazu – Gewiss: Die (formelle) Kirchenzugehörigkeit ist ein äusseres Kriterium. Zweifellos gibt es Menschen, Eltern wie Paten, die nicht Mitglied der reformierten oder wenigstens einer evangelischen Kirche sind und dennoch ihr Kind, und im Falle der Paten: Eltern und Kind, “in Fragen des evangelischen Glaubens begleiten” können. In den Kopf und ins Herz hineinsehen und damit die innere Voraussetzung für ebendiese Erziehung erkennen können wir nicht (und sollten wir auch gar nicht versuchen wollen). Einerseits. Anderseits geht es bei der Taufe halt doch auch um die Aufnahme in die Kirche – und zwar in eine bestimmte Kirche: unsere reformierte. Weshalb also verlangen wir Zürcher Reformierten nicht, dass zumindest ein Elternteil reformiert ist – also Mitglied derjenigen Kirche, in welche der Nachwuchs, immerhin doch auf Wunsch der Eltern!, aufgenommen werden soll? Wäre es überdies eine grosse Zumutung, zu verlangen, dass eine Patin, ein Pate – wenn schon nicht beide Paten – einer evangelischen, besser sicher: der reformierten, Kirche zugehörig ist? Sollten oder müssten wir das nicht sogar, wenn wir dem Patenamt ernsthaft einen “kirchlichen” Wert geben wollen (der gemäss Abs. 2 ja weiterhin vorgesehen ist)? – Auch wenn letztlich das Wohl des Kindes im Zentrum stehen und bestimmt lieber eine Taufe mehr als eine weniger vollzogen werden soll: Ich halte die Patenregelung meiner Landeskirche, bei allem Vertrauen in das Wirken und Wehen des Heiligen Geistes, für absurd lax – zumal seelsorgerliche Gründe eine weitere Lockerung der Voraussetzungen ermöglichen können (so festgelegt im letzten Satz von Abs. 3). Weshalb also schon die reguläre Bestimmung dermassen offen formulieren?
Über Berichte zur Anwendung dieser Bestimmung, insbesondere der Patenregelung, in der Praxis, aber auch über theologische Überlegungen dazu würde ich mich freuen – gleich in den Kommentaren oder per E-Mail. Speziell an die Pfarrerinnen und Pfarrer unter meinen Lesern: Welche Voraussetzungen sollten Paten bei Ihnen erfüllen? Und: Stellen sich die Fragen, die ich aufwerfe, in der freien Wildbahn überhaupt, oder handelt es sich aus Ihrer Erfahrung eher um ein Stürmchen im (akademischen/juristischen) Wasserglas?