Zuspruch und Wirklichkeit
Zeichnen konnte ich nie – das ist, ob ich will oder nicht, eine Tatsache. Ich habe Kindheitswerke von mir im Keller liegen, die Sie sich weder vorstellen können noch vorstellen wollen. Und doch hätten mir meine Eltern nie direkt gesagt, dass ich ein mieser Zeichner bin. Im Gegenteil, manchmal erhielt ich sogar ein kleines Lob für meine Kritzeleien. Wenn man das Gegenüber gern hat, drückt man halt das eine oder andere Auge zu und ist man bereit, den Anspruch, die Erwartungen zu senken. Das ist schön – macht die bewertete Leistung aber nicht besser.
Deshalb: Denkt daran, liebe Mitstudentinnen und Mitstudenten an der Theologischen Fakultät, wenn auch Ihr regelmässig Bestnoten bekommt: Die Damen und Herren Dozenten mögen uns wahrscheinlich “nur” – richtig gut sind wir deswegen (erwiesenermassen) noch lange nicht.
Gute Noten in theologischen Prüfungen haben und guter Theologe sein, das ist nicht ganz das selbe. Das zu lernende Rüstzeug ist zwar wichtig, aber fruchtbar wird es erst, wenn es in Beziehung gesetzt wird zu gesellschaftlichen und persönlichen Erfahrungswelten, zu kulturellen Zusammenhängen. Lob und Tadel der Lehrenden sind nicht das Jüngste Gericht. Sie gehen eventuell von nur beschränkt bedeutsamen Bewertungsmassstäben aus. Kurz: Die wichtigeren Prüfungen kommen vielleicht später. -Was mich betrifft, habe ich hierzu einen Rückblick auf mein theologisches Berufsleben gehalten, der hier nachzulesen ist: http://trekimo.wordpress.com/about/
Lieber Urs
Einverstanden: Eine Note ist immer mit Vorsicht zu geniessen. Sie ist, ob man will oder nicht, subjektiv, eine Momentaufnahme, und sie bezieht sich immer auf einen, mal kleineren, mal grösseren, Ausschnitt und häufig in erster Linie auf Informationswissen. Allzu hoch gewichten würde ich solche Einzelbewertungen ebenfalls nicht – und ausserdem liegt es an mir und meinen Kolleginnen und Kollegen, wie sehr wir uns auch über das Notwendige hinaus für das Fach einsetzen.
Eine gute Note kennzeichnet also nicht zwingend einen guten Theologen (im weiten Sinne gemeint). Das Gegenteil gilt aber halt auch nicht – und zumindest sollte eine Note doch etwas darüber aussagen, wie sich jemand im Bereich der theologischen Wissenschaft (!) “schlägt”, ob er bzw. sie sein/ihr Handwerk versteht, die Grundlagen, an denen es auch an unserer Fakultät kein Vorbeikommen gibt, verstanden hat. Konkret: ob sich ein Student, eine Studentin für die Uni-Laufbahn eignet oder nicht. (Auf dieses, eher enge, Verständnis von Theologie hatte ich in meinem Text angespielt.)
Wenn ich dann bisweilen trotz bei weitem nicht perfekter Prüfungsleistung den Eindruck vermittelt bekomme, ich sei “sehr gut”, und wenn es manch anderem auch so geht, dann ist zum einen mein Zeugnis am Ende nicht besonders aussagekräftig (Noteninflation…) und bringt dies zum anderen potentiellen wie tatsächlichen wissenschaftlichen Nachwuchs hervor, der sich für durch und durch geeignet hält, aber nicht zwingend auch wirklich qualifiziert ist für seine Aufgaben. Weshalb also ein durchzogenes Resultat nicht einfach durchzogen nennen?
Die heutige Handhabung sehe ich schon als Problem – vor allem wenn ich an den wissenschaftlichen Wettbewerb zwischen den Theologischen Fakultäten (z.B.) im deutschsprachigen Raum denke. Da dürfte (und müsste?) “Zürich” schon ein wenig mehr fordern (oder sich zumindest am Ende nicht fragen, wo denn der fähige, wettbewerbsfähige Schweizer Nachwuchs bleibt).
Herzliche Grüsse,
Reto
PS: Dass ich von niemandem weiss, der das Studium aus Leistungsgründen nicht beenden konnte, wäre dann noch ein anderes Thema. Offenbar eignet sich jeder zum (Uni-)Theologen. Ist das so? Offenbar: ja. Das müsste ich aber einmal in einem separaten Text ansprechen und durchdenken.
Lieber Reto,
da gebe ich Urs Meier (unbekannterweise) absolut recht mit seiner Aussage. Ein guter Theologe bewährt sich m.E. erst in der praktischen Theologie. Trotzdem bezeichnend: Ich durfte diese Tage einen Artikel zum Thema “Ehre/Ehrgefühl systematisch theologisch” gegenlesen für die Neuausgabe des ElThG. Wer steht in der Literaturliste? Thielicke, Barth, Lütgert, Althaus. Wieso um alles in der Welt beziehen wir uns 2012 noch immer auf Theologen der Nachkriegszeit? Wieso findet sich sonst nichts Relevantes? Ich habe selber nachgeforscht und: …nichts gefunden. Wie Recht Barth hatte (um einen alten Theologen zu zitieren), dass in der Theologie nur noch Pamphlete verfasst werden. Wie nahe steht die ev. Theologie bald dem alten Katholizismus. Es werden “Kirchenväter” zitiert die “Kirchenväter” zitieren. Aufgrund der Reformation immerhin solche der deutschen und nicht der lateinischen Sprache. Aber vielleicht ist es einfach eine Wirklichkeit und in dem Sinne ein Zuspruch, dass reife Theologien erst in und durch Krisenzeiten entstehen. Das lässt noch hoffen. Sicher entstehen sie nicht aufgrund guter Noten im Studium… Oder?
Lieber David
Ich stimme Deinen ersten und Deinen letzten Sätzen zu, da und solange sie sich auf die kirchliche Praxis beziehen: Dann spielen Noten sicherlich eine untergeordnete Rolle, sind sie nicht besonders aussagekräftig. (Gleichzeitig möchte ich aber betonen, dass ein Pfarrer, eine Pfarrerin durchaus auch an der Uni anständige Arbeit geleistet haben darf. Ich finde es schade, nein: fragwürdig, wenn ich Jungpraktiker sagen höre, sie seien froh, endlich der Theologie entflohen und in der Praxis angekommen zu sein. Die Praxis ist, will sie überzeugen, ohne die theoretische Reflexion doch nicht zu haben!)
Hinsichtlich der wissenschaftlichen Theologie beurteile ich die Notenfrage anders, und auf sie hatte ich mich, vielleicht zu wenig deutlich, in meinem Text bezogen (siehe auch meine Antwort an Urs Meier).
Im Übrigen gebe ich Dir recht, dass der theologische Diskurs sich heute noch sehr stark, vielleicht zu stark, auf die “alten” Theologen bezieht. Anderseits sollte man, wenn ich Deine Aussage auf die Studentenebene herunterbrechen darf, die Reformatoren und die wichtigsten Ansätze und Theologen der vergangenen Jahrhunderte schon kennen, bevor man selbst grosse Sprünge wagt. Das gehört zum Handwerk. Damit geht dann vielleicht auch ein wenig Demut der Vergangenheit gegenüber einher: Wenn ein Bachelorstudent, wie in einer Veranstaltung der Fakultät geäussert, vorhat, mit einer Seminararbeit (!) dazu beizutragen, die Trinitätslehre “endlich” vom dem Heiligen Geist zu befreien (!), ist das schon sehr befremdlich.
Und noch ein Wort zu den Krisenzeiten: Wenn diese eine Voraussetzung für gute Theologie sind (was vielleicht tatsächlich der Fall ist), bin ich mir gar nicht so sicher, ob ich mir wirklich wünschen will, dass es wieder (neue) “gute Theologie” gibt. 😉
Herzliche Grüsse,
Reto