Tischgemeinschaft, zum Gedächtnis
Es ist tatsächlich das Holz, das einen am Treuesten durchs Leben begleitet.
Pünktlich zum Schulstart, vor der 1. Klasse, hatte ich mein eigenes Pult bekommen: auf der linken Seite ein vierschubladriger Korpus, abschliessbar, darüber eine weisse Tischplatte, beides aus massivem Holz, in der Waagrechten gehalten von zwei Metallbeinen auf der rechten Seite. Offensichtlich beste Wertarbeit: Das Möbelstück begleitete mich durch Primarschule, Gymnasium und Studium, folgte mir aus dem Kinderzimmer in meine Wohnungen in Zürich, Effretikon, Bubikon, Wolfhausen und noch einmal Wolfhausen. Ungezählte Stunden habe ich daran gesessen, ebenso viele Prüfungen daran vorbereitet, Arbeiten geschrieben – und dabei immer wieder einmal, dann, wenn auch Fleiss keinen Preis mehr versprechen wollte, auf Holz geklopft. Äusserlich wie neu, erzählte bis zuletzt allein das Innenleben eine sichtbare Geschichte: Auf dem Innenboden der zweiten Schublade von oben befand sich, unterste Schublade!, ein dunkler Fleck, von einem Sandwich herrührend, das dort, einsam und vergessen, vor Jahren einige Zeit lang vor sich hin gegärt hatte. (Die feinen Bissspuren in der Tischplatte waren dahingegen nur imaginär.)
Irgendwann aber siegen Komfort- und Platzanspruch über Sentimenta-, Loya- und andere -litäten, und so habe ich mein treues, mein teures Pult vor Kurzem, nach über einem Vierteljahrhundert in meinem Dienst, durch eine überlange Planke auf vier Beinen, ohne Korpus und noch ganz ohne Seele, ersetzt – und zunächst in den Keller gestellt, kürzlich nun, aus Platzgründen, für immer weggebracht. Unter uns: Mein Herz hat leise geweint, als wir die Entsorgungsstelle mit leerem Kofferraum verliessen.
Zuviel Wehmut, zuviel Überhöhung? Meinetwegen. Fühlen Sie sich frei, meine Erinnerungsfetzen, mit dem gebotenen Respekt!, zu entmythologisieren. Ich kann das nicht – es geht hier, hoc erat Korpus meum, um mein Pult, Mann!