Abstimmungspflicht, kirchlich
Wer reformiert ist und seinen Briefkasten hin und wieder leert, weiss, dass er allzweiwöchentlich die Kirchenzeitung “reformiert” erhält – jedes zweite Mal, also monatlich, ergänzt durch eine lokal verantwortete Gemeindebeilage. Diese heisst bei uns in Bubikon “Chileblick”. Zum festen Bestandteil dieser unserer Gemeindebeilage nun gehört eine frontseitige Kolumne: Monat für Monat erhält ein Mitglied von Kirchenpflege oder Pfarrteam eine Carte Blanche hierfür. Einzige Vorgabe: Der Text sollte eine Länge von 1600 Zeichen nicht überschreiten. [1]
Manchmal geht der Kelch auch an mir nicht vorbei. Der Kolumnentext, den ich für den “Chileblick” vom September 2010 verfasst hatte, kam mir am vergangenen Wochenende in den Sinn, als ich meine Gitarre mit einer neuen Saite bespannen musste – zum ersten Mal überhaupt (nach anderthalb Jahren!), denn ich hatte ebendiese Gitarre mit dem Ziel gekauft, mir das Spiel selbst beizubringen. “Im Selbststudium” heisst das, und bedeuten tut es, wenigstens in meinem Fall, dass ich bisher “einfach nicht so recht die Zeit gefunden habe”, etwas zu lernen. Aber das soll hier nicht das Thema sein… [2]
Hier nun also der Text:
Manchmal denke ich, dass ich ein unverbesserlicher Schöngeist bin, ein Freak – und finde Trost darin, dass Sie meine Gedanken nicht lesen können. Sie wüssten sonst, dass ich Schweinekoteletts ins Regal zurücklege, wenn sie mit „Schweinekoteletten“ angeschrieben sind (Koteletten, liebe Metzger, sind Backenbärte!), und dass ich jede Beiz einladender fände, würden wir sie mit dem schönen Gaststätten-Synonym Dorfkrug bezeichnen. Ach ja, und ich liebe Moosseedorf für seine drei Buchstabendopplungen!
Anderseits ist mir natürlich klar, dass Sprache zunächst ein Instrument zum Gedankenaustausch ist – ein Instrument allerdings, das, um beim Bild zu bleiben, gestimmt werden will. Bei meiner Gitarre habe ich hierfür zwei Möglichkeiten: Ich kann mich damit begnügen, die Saiten aufeinander abzustimmen (damit die Akkorde in sich stimmig sind), oder sie an einem „ausserhalb“ gespielten Referenzton ausrichten. Wer in einer Gruppe musizieren möchte, wählt die zweite Variante und orientiert sich an den anderen Instrumenten. So verhält es sich auch mit Worten: Ein echter Austausch ist nur möglich, wenn die Sprache des Einen auch die Sprache des Anderen ist.
Was das mit uns mehr oder weniger gläubigen, vielleicht auch zweifelnden Christen zu tun hat? Nun: Wir können uns grämen, weil unsere eigene Sprache, die in sich stimmig sein mag, nicht mehr kultureller Mainstream ist – oder wir nehmen die Herausforderung an und übertragen und „überleben“ unsere grossen, aber weitherum unverständlich gewordenen Wörter und Vorstellungen (Sünde! Gnade! Vergebung!) in eine Sprache, die auch von Menschen verstanden wird, denen das Alphabet des Glaubens fremd ist.
Dies halte ich, heute mehr denn je, für die grösste Herausforderung der Kirchen (und damit von uns allen): sich in einer Sprache auszudrücken, die tatsächlich auch verstanden wird, theologische Konzepte aus dem schönen, warmen Zirkel der Insider ins Leben zu transportieren – und doch, soviel Ehrfurcht vor dem bisher zurückgelegten Weg muss sein, die eigene Geschichte nicht zu verraten. Ein schmaler Grat, klar. Aber was ist denn die Alternative? [3]
[1] Und im weitesten Sinne sollte es um Theologisches oder Kirchliches gehen. Das versteht sich aber von selbst.
[2] Für die Interessierten: Ich nehme demnächst Gitarrestunden. Gutes Weihnachtsgeschenk, das!
[3] Bevor nun eingewandt wird, eigentlich sei es doch an der “widerspenstigen Öffentlichkeit”, verbrannten Wörtern und Worten unbefangen zu begegnen: Nein, ist es nicht. Kommunikation, die diesen Namen verdient, setzt einen Sender voraus, der sein Publikum ernstnimmt und sich an ihm orientiert. Weshalb soll das ausgerechnet bei den Kirchen, deren erster Auftrag ja gerade die Kommunikation ist, jene des Evangeliums nämlich (Art. 29 Abs. 1 KO), anders sein? Also: Das Wohlwollen vieler ist, manchmal zu meinem eigenen Erstaunen, da – jetzt sind wir dran! Wäre ja gelacht…
Ganz fein geschrieben. War letzten Sonntag im Nachbarort in der Kirche. Der Pfarrer hat eine Statistik vorgestellt, nach der 70% der Kirchenmitglieder dem Glauben fern stehen oder nicht interessiert sind. Sein Fazit: Wir lassen uns davon nicht beirren und machen weiter wie bisher. Hmmm. Dafür sind solche Erhebungen wohl gedacht. Um zu sehen, sich zu grämen und dann weiterzumachen. Dort wo man stehenblieb.
Schwierig finde ich die Aufgabe, andere Begriffe zu verwenden und den Inhalt trotzdem klar bleiben zu lassen. Da geht “Vergebung” noch eher als “das Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird” und die “Braut ohne Flecken und Runzeln”. Hab mal eine Seminararbeit geschrieben zur Kontextualisierung des Begriffes “Erbsünde”. Nicht einfach das Ganze….
Schenke uns Gott die Gnade! 😉
Lieber David
Vielen Dank für die Rückmeldung. Falls der Eindruck entstanden sein sollte, dass ich Begriffe mir nicht, dir nichts ersetzen möchte: Dem ist nicht so. Damit würden wir zuviel aufgeben. Allerdings bin ich der Ansicht, dass manche Wörter ausserhalb der Theologie mittlerweile dermassen falsch verstanden werden (woran die Kirche bisweilen nicht ganz unschuldig ist), dass sie dringend der Erklärung bedürfen. Der Sündenbegriff ist ein Beispiel dafür.
Eine einfache Lösung sehe ich übrigens nicht. Ich weiss auch, dass ich mit meinem Anliegen im Prinzip offene Türen einrenne, also mit solch einem Beitrag eher wenig Widerrede riskiere. Aber ändert sich denn wirklich etwas? Ich sehe diesen Text als (Ausrufe-)Zeichen, unter dem meine Ausbildung und meine Arbeit in der theologischen Praxis, wo auch immer, stehen sollen.
Kommunikation ist mir, als jemandem, der kirchlich eher zurückhaltend sozialisiert wurde und die Sprache der Theologie und des Glaubens erst kennenlernen muss(te), vielleicht besonders wichtig – Kommunikation, die ankommt.
Wir werden daran arbeiten, nicht?
Herzliche Grüsse,
Reto
Lieber Reto
Als theologischer Laie habe ich oftmals auch Mühe mit biblischen oder kirchlichen Begriffen. “Erbsünde” z.B. ist aus meiner Sicht ein Widerspruch in sich und ein menschliches (katholisches?) Konstrukt.
Mehr Mühe als mit den von dir zitierten Begriffen allerdings habe mit Beschreibungen von oder rund um Gott und Jesus Christus wie etwa “Gott auf seinem Thron” oder “Jesus Christus sitzend zur Rechten Gottes” etc. Ich denke, wir sollten sehr zurückhaltend sein mit solchen aus der menschlichen bzw. irdischen Erfahrungswelt stammenden Bildern. Für mich ist Gott mit physischen Begriffen nicht beschreibbar. Er existiert (ich sage nicht: “lebt”) in einer Welt von der die unsere wohl bloss ein kleiner Teil ist und von der wir daher wegen unseren auf die physische Welt beschränkten Sinnen keine Legitimät zu einer Beschreibung im Rahmen unserer Erfahrung haben. Ich denke, wir können von Gott reden, ohne ihn uns als menschenähnliches Wesen (“auf dem Thron sitzend”, “… seine rechte Hand…” etc.) vorzustellen. “Du sollst dir kein Bildnis machen” deutet für mich in diese Richtung. Ich staune manchmal wie gewisse Pfarrer und Prediger genau wissen, wie Gott ist. Eine Alternative zu ihren Beschreibungen habe ich allerdings als schlechter Bibelkenner auch nicht und vielleicht bin ich da zu kritisch. Fehlt es mir am Gauben? Kannst du mir weiterhelfen?
Vielen Dank im Voraus und herzliche Grüsse
Hans
Lieber Hans
Die Fragen, die Du stellst, sind, mal mehr, mal weniger, auch die meinen.
Weit davon entfernt, in der Theologie und im Glauben fertig ausgebildet zu sein (was nicht ernsthaft mein Ziel sein kann!), erkläre ich mir solcherlei biblische Gottesbeschreibungen ganz einfach mit der menschlichen Neigung, ja: der menschlichen Notwendigkeit, sich Unvorstellbares vorstellbar zu machen. Das ist aber nur über Assoziationen aus dem menschlichen Bereich denkbar, d.h. über das Hinunterbrechen von Grossem in den Bereich, den der Mensch (wir!) überblicken kann.
Also: Wenn Gott mächtig ist – weshalb soll er dann, in unserer eingeschränkten Sicht, nicht königgleich auf einem Thron sitzen? Solcherlei Vorstellungen, historisch begründet und biblisch fixiert, wirken heute, Tausende Jahre später, bisweilen antiquiert (Throne und Zepter sind seltener geworden…) – heute fänden wir vielleicht andere.
Sind Vorstellungen wie diese ein Widerspruch zum Bilderverbot? Solange sie nicht wörtlich, sondern als freie und unzureichende Assoziationen (und eben nicht als Ab-Bilder) verstanden werden, sehe ich da kein Problem.
Zu Deiner letzten Frage eine Gegenfrage: Ist ein Glaube, der ohne Fragen und ohne Zweifel auskommt, denn überhaupt vorstellbar?
Herzliche Grüsse,
Reto